Preußisches Bleisatz-Magazin
Vom Kommenden

Nachts, wenn die Walküren reiten 3.433 views 9

Walküren sind die Töchter Wotans. Als spirituelle Schicksalsfrauen begleiten und lenken sie das Leben eines jeden Mannes von seiner Geburt an durch sein gesamtes Leben bis zu seinem Tod; ja,  darüber hinaus. Denn nach seinem Tod reichen sie  ihm den lebensspendenden Trunk und führen ihn nach Walhall. Dieser Ort war in der Alten Zeit den gefallenen Kriegern vorbehalten, aber weil wir ja keine Kriege mehr führen, sondern ausschließlich den Verteidigungsfall im Grundgesetz festgeschrieben haben bzw. weil längst das Leben selbst zum individuellen Krieg geworden ist, hat  Wotan die Aufnahmebedingungen für sein Walhall abgeändert, so daß auch wir, die nicht in den großen Schlachten unseres Volkes Gefallenen, Zutritt bekommen. So werden sie auch für mich ein Pöstchen finden — Blogwart der Kompanie oder irgend so etwas Unaufregendes. Genau, wonach mir ist.

[Lektorat: Bis hierhin folgt uns die Leserschaft mit amüsiertem Interesse. Nun erwartet sie das übliche politische Statement, das wegen der äußerst kurzen Aufmerksamkeitsschwelle nur stichwortartig angedeutet wird.]

Wotans Neuregelung führte in Walhall zu einer Zweiklassengesellschaft. Es ist nachvollziehbar, daß ein gefallener Krieger der Hermanns-Schlacht (aus welchem Grunde, um Himmels Willen,  sollte man diese so immens wichtige Schlacht nach dem Verlierer Varus benennen?) kein Problem mit der Gesellschaft eines Kampfgefährten des Ludwig Yorck von Wartenburg hat. Aber wird er auch eine unbedeutende Krämerseele aus der rheinischen Provinz respektieren, die ihm, verschüchtert und unsicher, bei seiner Ankunft die Hand reichen wird? Nun, wir werden ja sehen.

[Lektorat: Genug. Nun zugig die Überleitung.]

Der Begriff Walküren vermischt sich in der Germanischen Mythologie mit den Begriffen Fylgja oder Folgerin, Fylgien, Disen, Georgs starke Frauen oder Nornen, die auch in der Edda, einer Liedersammlung nordischer Stämme, die erstmals um das Jahr 800(?) herum aufgezeichnet wurde, deren mündliche Überlieferung sich jedoch in den Nebeln der grauen Vorzeit verbirgt. Manche sagen, die in der Edda enthaltenen Lieder seien älter als die Bibel.

Nornen — der Ausdruck gefällt mir vom Klang und von den Assoziationen her viel besser als Walküren. Zweitere verbinde ich mit Wagners «Ritt der Walküren» (dessen Umsetzung in Coppolas «Apocalypse Now» ist grandios, oder?). Ich finde keinen Zugang zu Wagners Original — ist mir zu überladen und schwülstig, ewiggestrig. Ich kann noch logisch nachvollziehen, was einen Adolf H. zum Ring zog, nicht jedoch, warum die Mächtigen unserer Republik meinen, sich dort präsentieren zu müssen. Nun ja. Jedem das Seine.

Als Überschrift eignen sich Walküren jedoch besser als Nornen. Das verstehen Sie jetzt sicher.

[Lektorat: Gut, reicht. Jetzt in die Vollen und mit Effet ins Hauptthema.]

Zeit meines Lebens stand ich unter dem Einfluß meiner persönlichen Nornen, meiner starken Frauen. Da war die Mutter, den Vater im Glauben lassend, er und nur er habe das Heft des Handelns in der Hand und träfe die Entscheidungen für die Famile. Während sie, die ja nur als Hausfrau und Mitverdienerin erschien, längst die Weichen stellte. Sie wahrte den Schein, er sein Gesicht. Von ihr erlernte ich die Diplomatie im Hintergrund. Da war die Schwester, deren klarer, offener Blick auf mich keine Ausrede zuließ, die entschied und der ich folgte. Auch die Frau, mit der ich dann 25 Jahre lang eine Ehe führte, war von diesem Kaliber. Sie alle Frauen, die mir weite Räume für mich selbst ließen, aber auch klare Grenzen setzten. Solche — und ich sage das in Demut —, denen ich die Entscheidung überließ, sofern ich mich einmal (wieder?) verrannt hatte. Selbst die Tochter kam mit fest geballten Fäusten auf die Welt. Nicht jammernd und im warmen Schoß verbleiben wollend, sondern zornig brüllend ob der Störung und sofort bereit, den Kampf aufzunehmen. Das schönste Neugeborene der ganzen Station — ich ließ es mir schriftlich geben, informierte über den Versand von 100 Geburtskarten nebst Bild die Großen unserer damaligen Welt aus Politik und Wirrtschaft.  Ihre Antworten (oh ja, sie antworteten) hefteten wir in ein Album, das heute in Besitz der Hauptperson herself ist.

Sie alle begleiteten Abschnitte meines Lebens oder stehen immer noch… ja, wo? An meiner Seite? Hinter mir? Oder ziehen sie mich gar, die Richtung vorgebend? Es wird wohl etwas von allem sein. Sie sind meine Schutzengel, meine Nornen. Mir vom Schicksal zugeweht, mein Leben  mitbestimmend? Nun, zumindest mich verstehend, mich unterstützend oder auch sanft gegenlenkend. Sie werden da sein, bis ich gehe. Das weiß ich wohl. Und empfinde Dankbarkeit.

Es kleines Stück Weg werden sie mich noch begleiten und mich dann mit einem freundlichen, bestimmten «Und nun geh…» den letzten Schritt allein vollenden lassen. So soll es sein. Ich habe keine Angst. Es ist nur ein Einschlafen. Es sind gar nicht Wagners Walküren, die mir nachts unverständlich Schreckliches ins Ohr flüstern, es sind meine Nornen. Sie wollen mich beruhigen, mich begleiten. Und mir sagen, daß ich — vorerst noch — den lieben Gott einen guten Mann kann lassen sein. Noch geht es nicht ans Einschlafen. Also habe ich auch keine Angst, wenn die Walküren reiten.

[Lektorat: Gut. Ausklingen lassen und Klappe. Feierabend.]

Eine Esche weiß ich,
heißt Yggdrasil,
Den hohen Baum
netzt weißer Nebel;
Davon kommt der Tau,
der in die Täler fällt.
Immergrün steht er
über Urds Brunnen.

Davon kommen Frauen,
vielwissende,
Drei aus dem See
dort unterm Wipfel.
Urd heißt die eine,
die andre Verdandi:
Sie schnitten Stäbe;
Skuld hieß die dritte.
Sie legten Lose,
das Leben bestimmten sie
Den Geschlechtern der Menschen,
das Schicksal verkündend.

  1. Kommentar by CO2 — 6. Juni 2010 @ 22:23

    Achtung! Sie lesen hier die Antwort einer Frau! Walküre geht nicht… ich wiege zu wenig! Norne gefällt mir ebenfalls recht gut……….

    Lieber Herr Kraus,

    ich bin über Ihre Seite gut informiert, ich habe Ihnen auch schon mal vor längerer Zeit geschrieben- da ging es um ein anderes Thema-, deswegen schreibe ich Ihnen nur noch unter „CO2“, weil ich keinen Wunsch hege, mich im Internet zu verewigen.

    Es geht bei Ihnen jetzt „um die Wurst“ und deshalb bin ich in meinem Herzen bei Ihnen. Sie haben es kraft Ihres Berufes geschafft, einen „virtuellen Treffpunkt“ für Menschen Ihrer Generation zu schaffen. Kompliment! Leben Sie noch lange und schreiben Sie noch viel. Die Männer brauchen es!
    Als Frau habe ich mir schon viel länger als Sie Gedanken über das Gehen von dieser Welt gemacht, die Gedanken die Sie sich machen, sind gute Gedanken, sie sind r i c h t i g und wichtig!!!
    Bleiben Sie, lieber Herr Kraus, am Leben, so lange es noch geht und…. schreiben Sie,
    lieber Kraus,
    Ihre Worte haben das Potential „zu gären“.
    Lesen Sie, ich empfehle Ihnen als Mann(die Empfehlung kommt natürlich von Frau), Charles Bukowski, häßlich, gemein, aber man kann von diesem Mann etwas lernen…. auch Männer!
    Was wir nicht wissen, erklären wir uns!
    Hat auch ein Mann gesagt und es ist richtig!! Sie erklären sich Ihr Leben über das Internet und es gibt Menschen, die sich davon angesprochen fühlen, die einfach nur bei Ihnen „in Ihrer beschissenen Situation“ sind.
    Lieber Herr Kraus, der Tod ereilt uns alle, deswegen sollen wir leben!
    Ich weiß, dass dieser Satz gemein und widerwärtig in Ihren Ohren klingen muss, aber ich bin nur eine Frau,
    weshalb
    Sie ja doch darauf hören, ohne es zuzugeben, worauf ich keinerlei Wert lege.

    Ich wünsche Ihnen Kraft und Schmerzfreiheit für Ihren Weg.
    Ich wünsche, dass Sie noch lange unter den Lebendigen bleiben und schreiben, aber der liebe Gott hört nicht immer auf meine Wünsche, nicht mal wenn es um Kleinigkeiten wie Sonnenschein und Regen geht.
    Co2

  2. Kommentar by Hannah — 6. Juni 2010 @ 23:20

    Uh .. Hier wird Bukowski empfohlen. Wie gewagt.

  3. Kommentar by Preuße — 7. Juni 2010 @ 09:25

    Gestern Nacht habe ich endlich einmal wieder ruhig und fest geschlafen. Ob es da einen Zusammenhang mit dem Schreiben dieses Artikels gibt?

    @ Hannah
    Wir gehören einer Generation an, in der die Werke Bukowskis bei ihrem Erscheinen als unerhörter Tabubruch galten. Eure Generation dagegen ist aufgewachsen mit der Fernseh-Deformation von Sendungen über SM-Studios, Swinger-Clubs und anderen Unsäglichkeiten. Es wird schwer sein für Euch, den von uns empfundenen Tabubruch eines Bukowski nachzuvollziehen. Du wirst auch heute keine Frau (sie alle sind Damen) meiner Generation antreffen, die das Wort „Ficken“ oder ähnliche Vulgär-Worte verwendet (ich wollte schon schreiben „in den Mund nimmt.“ ^^). Was Eurer Generation, glaube ich zu wissen, recht geläufig ist. Mehr Sex, aber weniger Erotik? Ich weiß nicht. Wo der Vorteil liegt, mag ich in einem so kurzen Kommentar nicht bewerten wollen.

    Buchempfehlung für Dich: Letzte Ausfahrt Brookly, Hubert Selby
    Dieselbe Richtung wie Bukowski, nur mehr Florett als Degen.

  4. Kommentar by Hannah — 7. Juni 2010 @ 10:10

    Bukowski ist schlecht. Er haut nur drauf, ohne, dass viel dahinter steckt. Er ist wie ein billiger Abklatsch von Thompson oder Burroughs – nur ohne Stil.

  5. Kommentar by Preuße — 7. Juni 2010 @ 11:02

    Gut. Zustimmung. Aber was erwartest Du von einem hochgradigen, naßen Alkoholiker und sich selbst als Arschloch bezeichnenden Provokateur? Er hat seine Verdienste, eben weil er dieses gesellschaftliche Tabu Sex massentauglich gemacht hat.

    Insofern hat er mehr bewegt als die, die lange vor ihm und viel subtiler, intelligenter und in unseren Augen atemberaubender dasselbe Tabu gebrochen haben, wie Burroughs, Selby oder auch und gerade Henry Miller. Gerade der war Avantgarde. Noch heute zeigen die Biographien über ihn den Unterschied. „Henry Miller lebte promiskuitiv.“ Bukowski hat ganz einfach gefickt, was bei Drei nicht schnell genug auf den Bäumen war. Den „Wendekreis des Krebses“ zu lesen, war eines der Schlüsselerlebnisse meiner Jugend. Bukowski las ich grinsend in der Badewanne oder auf dem Klo. Auf’s Klo geht jeder, Schlüsselerlebnisse suchen geschieht seltener.
    http://henrymiller.twoday.net/

  6. Kommentar by Hannah — 8. Juni 2010 @ 10:28

    Ich finde es vermessen, zu behaupten, Bukowski habe irgendetwas massentauglich gemacht. Bukowski war nicht – bei Weitem nicht – der Erste, der diese Themen aufgriff. Er war auch nicht der Beste, der sie aufgriff. Genauso wenig, wie er der Einzige war oder in sonst irgendeiner Weise als herausragend zu bezeichnen ist. Allein das Buch „Naked Lunch“ bietet wesentlich mehr „Tabu-Einsicht“ als Bukowski es in all seinen Büchern getan hat. Das wirklich Einzige, was Bukowski von anderen Autoren dieses „Genres“ unterscheidet, ist der Fakt, dass er nicht schreibt, sondern einmal mit dem Stahlhammer in die Menge haut – stillos, niveaulos, nicht weiter erwähnenswert.
    Der Lebenswandel von Bukowski ist verglichen mit dem von Thompson harmlos, wenn nicht sogar bedeutungslos, aber Thompson hat mit wesentlich mehr Stil, Geschick und Neuheit eine Sache beschrieben, die Bukowski einfach nur runter rasselt. Thompson hat viel größere Tabus gebrochen, indem er selbst in seinen Zeitungsartikel nichts von seiner Drogensucht unerwähnt ließ und dadurch ein neues und einzigartiges Genre des Journalismus kreierte – den Gonzojournalismus. Verglichen mit dem hat Bukowski einfach mal nicht mehr geleistet, als ein paar alkohol- und sexlastige Bücher an den Mann zu bringen.

  7. Kommentar by Preuße — 8. Juni 2010 @ 14:17

    Deiner Analyse Bukowskis kann ich mich anschließen. Aber was ist vermessen an meiner Aussage, Bukowski habe den Tabubruch Sex massentauglich gemacht? Du meinst „vermessen“ im Sinne von „zuviel der Ehre“, ja? Dann haben wir unterschiedliche Ansichten des Begriffes „vermessen“. Ich empfände es als vermessen, meine Erzählungen hier mit denen eines J.D. Salingers gleichzusetzen, also im Sinne von „anmaßend“.

    Miller und Bukowski stehen für mich für den Unterschied zwischen Literatur und Belletristik. Literatur bewegt in unserer Zeit, in der es das Bildungsbürgertum nicht mehr gibt, nur wenige. Ich mag den Ausdruck Intellektuelle nicht dafür verwenden, denn z.B. ich bin keiner. Aber mich hat Miller bewegt. Bukowski dagegen ist für mich Belletristik. Sie wird von Massen gelesen, denen ich nicht unbedingt Intellektualität zugestehen will. (Was ein Widerspruch zu meiner Rückweisung des Begriffes Intellektueller ist, ich weiß).

    Ja, Bukowski haut mit einem Stahlhammer in die Menge. Somit ist er doch eigentlich passend für die heutige Zeit. Während Miller viel tiefer mit dem Florett arbeitet. Ein Unterschied wie bei Erotik und Sex. Sex ist Trieb ist Bukowski. Erotik ist Andeuten, Interpretation dem Leser überlassen, Phantasie wecken ist Miller.

  8. Kommentar by Hannah — 8. Juni 2010 @ 22:36

    Gut. Dem stimme ich zu. Bukowski ist Belletristik und du weißt sicher, dass ich diesen Satz mit ein wenig Verachtung ausspreche, wenn ich dabei echte Schriftsteller im Hinterkopf habe, die Kunst schreiben – aber: Ja. Bukowski lass ich als Belletristik und somit nichts besonderes gerne durchgehen.

  9. Kommentar by Preuße — 8. Juni 2010 @ 22:54

    Hast Du Dir Hubert Selbys „Last Exit to Brooklyn“ besorgt? ^^

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