Preußisches Bleisatz-Magazin
Stimmungsbilder

Die Schöne und der irische Bastard 17.021 views 15

Ich mag die Iren. Ich mag ihre Sturheit, ja auch das Selbstzerstörerische ihrer Art. Ich mag die Geschichte Nordirlands, den Widerstand der Iren gegen die Besatzer aus England.

Und ich mag Shane MacGowan. Ein innerlich Zerrissener und Verzweifelter. Einer jener Menschen, die implodieren, statt zu explodieren. Ihre Wut und Aggression gegen sich selbst richten. Shane MacGowan ist eine Skandalfigur der irischen Folk-Punk-Musik.Das ist sehr wilde Musik, voll mit Lebensgier. Aber auch voll mit Verzweiflung über die Verlogenheit der Welt, in der nichts ist, wie es scheint.

Er ist mit Sinead O’Connor befreundet, die ihn einmal wegen Heroin-Besitzes anzeigte, um ihn  von dem Dreck wegzubringen. Er hat’s wohl verstanden. Wie man liest, säuft er auch weniger. Naja, vielleicht bekommt er noch den Dreh. Sinead O’Connor ist übrigens, so empfinde ich das halt, eine unglaublich schöne Frau. So weiblich, gerade mit diesen kurzen Haaren. Auf solche Frauen reagiere ich schon mein ganzes nach-pubertäres Leben lang mit pawlow’schem Reflex: Ich beginne (sinndbildlich gemeint, bitte) zu sabbern. Komische Sache mit so einer Prägung, nech? Komisch im Sinne von eigenartig. ^^

Hören Sie doch einmal rein.

  1. Kommentar by Thomas Kersting — 20. Mai 2010 @ 00:14

    Ja, die Musik ist sehr urwüchsig, unmittelbar und interessant. Als Sänger und Sängerkenner gilt meine Vorliebe allerdings mehr der Schönheit des Gesanges, eben dem Belcanto! Seltsamerweise hat mich nie eine weibliche Stimme zu Tränen rühren können. Aber wenn Caruso 1914 mit den mangelhaften technischen Mitteln seiner Zeit die Stimme für ein einfaches Volkslied in eine Wachsmatrize gestichelt hat, selbst da spürt man den Menschen und sein Herz. Ein Sängerscherz behauptet zwar: „Der Bariton ist der Übergang vom Tenor zum Menschen“.

    Nichtsdestotrotz hat der Tenor Richard Tauber mit seinen Opern-, Operetten-, Lied-, Volkslied- und Schlager-/Schnulzenaufnahmen ein Millionenpublikum begeistert und ein Domingo oder Pavarotti sind in in puncto Werbung und Marketing dagegen Waisenkinder. Es gab Tauber-Seife, Tauber-Zigaretten, also „Tauber im Nachttisch und Tauber als Nachtisch“ usw.

    „Doch in die Traumkarriere platzte der Alptraum. Judenlümmel raus aus Deutschland! brüllte es auch in Berlin. Vor dem Hotel Kempinski wurde Richard Tauber zusammengeschlagen. Die Nazis vertrieben den Halbjuden zuerst aus Deutschland, später aus Wien.“ (Zitat Michael Jürgs). Tauber befand sich gerade in Mailand, als er von der Besetzung Österreichs erfuhr. Der von den Braunen eingesetzte neue „Stadthalter“ Wiens ließ sich demonstrativ in Richard Taubers Mercedes, Ausführung „Tauber spezial“, durch Wien chauffieren. Tauber ging nach London und sang dort… und was? Deutsche Volkslieder! Opern, Operetten und selbstkomponierte Musicals. Er bekam von den Engländern den Titel „The Voice“, der später für Frank Sinatra „geklaut“ wurde. Schwer traf ihn die Nachricht, dass seine gesamten Schallplatten-Matrizen, die er vorsichtshalber in einem Schuppen außerhalb Londons eingelagert hatte, ausgerechnet von einer V2-Rakete zerstört wurden (Die Nazis konnten mit ihren neuen Raketen noch nicht gut zielen. Wernher von Brauns Raketen haben dann später den Mond unter der Regie der Amerikaner angeblich ganz gut getroffen). Tauber besann sich auch noch auf seine Fähigkeiten als Dirigent, und gab regelmäßig Sonntagskonzerte. 1948 starb er im Alter von 56 Jahren an Lungenkrebs. Er hatte 750 000 Mark Steuerschulden und die Kosten für das Begräbnis wurden unter den Trauergästen gesammelt.

    Das Bild einer Frau: Gottseidank bin ich als Mann in einem leicht fortgeschrittenen Alter nicht nur hormongesteuert sondern auch objektiv in der Lage, eine Frau zu betrachten! Zuallererst fällt mir da auf: Eine Frau ist zwar ein Mensch, aber eben eine Frau! Logik oder gar wirtschaftliches unemotionales Denken liegen ihr fern. Ich habe 25 Jahre Ehe und vier Kinder hinter mir, drei davon Leben noch bei mir! Ich bin hier schonmal als Chauvinist bezeichnet worden, daher jetzt nicht weiter. Will damit sagen: Als Lebewesen oder als Neutrum sind Frauen durchaus Lobenswert – sobald sich „etwa“s regt, wird die Sache kompliziert!

    Jedenfalls hat der Anblick einer Frau irgendwann vielleicht mal für weiche Knie gesorgt – aber das ist – wie schon gesagt – hormongesteuert. Eine tiefe Beziehung baut der Mann nur zu einer von Männern geschaffenen Maschine auf. Ich erinnere mich des alten Lokführers, der als Pensionär noch seine rassige Schnellzuglokomotive in Köln-Gremberghoven regelmäßig besuchte und, als sie ausgemustert auf den Abtransport zum Schrottplatz wartete, noch viele Stunden auf dem mittlerweile kalten Führerstand sich von ihr verabschiedete… Genauso mein alter Lehrmeister, der noch mit 80 Jahren regelmäßig über 30 Kilometer fuhr, um seine Linotype zu pflegen, die mein Vater von ihm gekauft hatte. Diese Maschine existiert noch! Ich kann nicht zählen, wieviele Nächte wir zusammen im „Schichtdienst“ verbracht haben? Die Zentralheizung war schon lange aus und sie hat mich mit ihrem Kessel flüssigen Bleis gewärmt. Jede kleinste Unregelmäßigkeit ihrer Bewegungen hat mich aufmerksam gemacht! Ich fühlte, wenn es ihr nicht gut ging! Es bestand ein Symbiose zwischen Mensch und Maschine! Jede dieser Maschinen hat ihre Eigenarten, jeder kannte seine Maschine. Im Zeitalter des Computers gibt es das so nicht mehr! Wir und der Computer sind auswechselbar! Programme funktionieren laut Handbuch!

  2. Kommentar by Preuße — 20. Mai 2010 @ 05:38

    Lieber Thomas Kersting,
    vielen Dank für den ausführlichen Kommentar und die interessanten Details aus Richard Taubers Leben. Erlauben Sie mir bitte eine Korrektur und eine Anmerkung.

    Es gab keine Besetzung Österreichs. Dies impliziert eine illegale völkerrechtliche Handlung, unterstellt eine Besatzungsmacht und auf der anderen Seite ein von dieser unterdrücktes Volk. Nach dem Zusammenbruch schloß sich die neue Republik Deutsch-Österreich dem ebenfalls nun republikanischen (SPD) Deutschen Reich an. Es sollte zusammengeführt werden, was zusammengehörte, denn auch die Deutsch-Österreicher gehören zum deutschen Volk.

    Die alliierten Siegermächte bestimmten in den Diktatfrieden von Versailles und St. Germaine (für Österreich) ein Verbot dieser Vereinigung. Österreich und das Deutsche Reich wurden erst _nach_ den Verhandlungen der „Verträge“ zur Unterzeichnung befohlen. Eine Diskussion oder Verhandlung fand nicht statt. Ein gar nicht hoch genug einzuschätzender Einfluß auf die Beliebtheit Adolf Hitlers im damaligen Deutschland und auch in Österreich lag ja gerade in dessen erfolgreichem Bemühen, diese schändlichen Verträge, in denen die Keim für eine Fortführung des ersten Waffenganges bereits gelegt war, zu brechen und die volle Souveränität Deutschlands wiederherzustellen. Die Menschen in Deutschland und Österreich wollten diese Vereinigung. Von Besatzung zu sprechen, ist also faktisch genau so falsch wie von einer Machtergreifung, die etwas Illegales anklingen läßt. Hitler ist auf völlig legalem Weg über freie Wahlen Reichskanzler geworden. Eine andere Sichtweise führt nur zum Paradoxon einer Angela Merkel, die der Roten Armee für die Befreiung Deutschlands dankt bei der Siegerparade in Moskau.

    Zum Thema Frauen: In meinem Leben ist es mir immer einmal wieder passiert, daß ich eine Frau traf, deren Anblick mich berührte. Es muß eine Art chemischer Prozess in mir ablaufen, so scheint es mir. Mich rührt dann schon ihr Anblick. So klein, schmal, so schutzbedürftig. Es hat gar nichts geschlechtliches. Das gehört dazu, ist aber nicht primärer Faktor. Es macht Päng in meinem Kopf und ich bin ihr hilflos ausgeliefert. Nun weiß ich mittlerweile genau, daß kleine, zierliche Frauen zunächst einmal eines sind: Zäh. Sie mögen körperlich nicht stark sein, aber sie haben einen unbeugsamen Willen, hart und elatisch wie eine Toledo-Klinge. Ich mache mir da überhaupt keine Illusionen (mehr).

    Im Juli 1983 hatte ich sie anläßlich unser beider Geburtstage ins Wiener Café auf der Königsallee zum Apfelstrudel mit Vanillesoße eingeladen. Natürlich auf ihren Wunsch hin. Ich bin Käsekuchen-fixiert und mag keinen Apfelstrudel, schon gar nicht in Verbindung mit kotz-warmer Vanillesoße. Anschließend gingen wir zu Fuß zur Düsseldorfer Altstadt. Gegenüber des Cafés, jenseits des Kö-Grabens, liegen die Zentralen der Banken. Und an der roten Ampel zwischen der Commerzbank und der Trinkaus-Bank passierte es. Sie trug ein taubenblaues Sommerkleid, das mit winzigen Schmetterlingen bedruckt war. Ein eng anliegendes Oberteil mit Spaghetti-Trägern. Braungebrannt, mit ganz kurzen Haaren. An der Ampel schaute sie mich von rechts unter mir schräg nach oben an. Die Sonne stand hinter ihr. Der Himmel verdunkelte sich, mir wurde ganz kodderig und ich fiel in ihre dunkelbraunen Augen hinein. Und ich war verloren. Heute weiß ich: Sie wußte das. Aber das zu wissen, hätte mir damals nicht geholfen. Auf die ehetypische Testfrage „Was habe ich gerade an?“ wußte ich nie eine Antwort. Ich merke mir so etwas nicht. Aber diesen Moment vor nunmehr rund 26 Jahren habe ich vor Augen, als wäre er gerade passiert. Es war heiß, ich schwitzte. Sie nicht. Sie sah kühl und erfrischt aus, als käme sie gerade aus der Dusche. Was für ein Moment. So etwas erleben zu dürfen, möchte ich nicht missen.

    Um nun nicht sentimental zu erscheinen: Klar, alles Chemie. Kann mir überhaupt nicht mehr passieren. Ich will ja gar keine Beziehung mehr. Schnauze voll. Pffft…

  3. Kommentar by Thomas Kersting — 20. Mai 2010 @ 23:10

    Lieber Herr Kraus,

    komme gerade vom Rhein geradelt. Es gab einen herrlichen Sonnenuntergang und ein ebensolches Kölsch (falls Sie das Getränk kennen?)!

    Natürlich haben Sie Recht! Das Wort „Besetzung“ habe ich mehr als Kraftwort benutzt aus Verachtung gegenüber des kulturellen und geistigen Ausblutens Deutschlands durch die Nationalsozialisten. Gerade die Wiener hatten bei erwähnter Triumphfahrt mit Taubers Mercedes die neuen Machthaber geradezu enthusiastisch gefeiert.

    Dies kann man von einem Kölner Oberbürgermeister mit Namen Adenauer nicht behaupten. Ließ er doch 1931 die in einer nächtlichen Aktion von den Nationalsozialisten aufgezogenen Flaggen auf den Rheinbrücken wieder entfernen mit dem Hinweis, das die Fahnenstangen öffentliches und nicht Eigentum der Nationalsozialisten seien. So geriet er ins Blickfeld der SA, die sogar öffentlich Geld für die „Kugel Adenauers“ sammelte. Am 12. März 1933 verlor Adenauers Zentrumspartei die Kommunalwahlen und er wurde des Amtes enthoben obwohl das Amt des Oberbürgermeisters garnicht zur Wahl stand. Der kommissarisch eingesetzten Kölner Bürgermeisters Riesen schrieb an Adenauer dann den berühmten „Verbrecherbrief“, in dem er ihm mit drastischen Worten u.a. Ausbeutung und Verbrechen an der Kölner Bevölkerung vorwarf. Tatsächlich sind insbesondere Adenauers finanzielle Tätigkeiten während seiner Zeit als Bürgermeister nicht alle unkritisch zu betrachten.

    Konrad Adenauers Eigentum wurde beschlagnahmt und seine Pension gesperrt. Er flüchtete ins „Exil“ nach Maria Laach und wurde als Folge des Röhm-Putsches und des 20. Juli 1944 jeweils verhaftet und sollte sogar ins KZ Buchenwald gebracht werden. Zwischenzeitlich konnte er die Situation durch einen elfseitigen Brief, in dem er seine Verdienste für die NS-Bewegung hervorhob, etwas entschärfen und erhielt sein Eigentum zurück und letztendlich sogar jährlich 15000 Reichsmark Pension.

    Trotzdem erstaunlich, dass Adenauer als erster Bundeskanzler der BRD sein Kabinett aus altbewährten Nazis wie Hans Globke, Theodor Oberländer, Waldemar Kraft, Franz-Josef Strauß, Karl Maria Hettlage u.a. bildete und 1955 den unsäglichen Brief an den FDP-Abgeordneten General a.D. von Manteuffel schrieb, der sich, wie seine Fraktionskollegen, für die Angehörigen der SS-Verbände einsetzte:
    „Ich weiß schon längst, dass die Soldaten der Waffen-SS anständige Leute waren. Aber solange wir nicht die Souveränität besitzen, geben die Sieger in dieser Frage allein den Ausschlag, so dass wir keine Handhabe besitzen, eine Rehabilitierung zu verlangen…  Machen Sie einmal den Leuten deutlich, dass die Waffen-SS keine Juden erschossen hat, sondern als hervorragende Soldaten von den Sowjets gefürchtet war…“
    gezeichnet
    Dr. Konrad Adenauer
    Bundeskanzler

    Ich komme auf Adenauer eigentlich nur, weil ich zufällig letzten Sonntag in Röhndorf sein Haus besucht hatte.

    Schaue ich mir die Karte Europas mal so über die Jahrzehnte und Jahrhunderte an, so bin ich garnicht sicher, wie Europa denn am Besten aussehen sollte! Was für Maßstäbe sollen angesetzt werden? Völkerrechtliche, politische, kulturelle, wirtschaftliche, geologische, ethnische…? Schauen wir uns eine beliebige Insel an, denen wurde am meisten mitgespielt. Jersey oder vielleicht Elba. Die Mittelmeerinsel Elba gehört geologisch eindeutig zu Italien oder der Provinz Toskana. Sie gehörte aber auch schon den Ostgoten, Byzantinern, Langobarden, dem Pabst, Genua, wurde von den Sarazenen erobert, von Großbritannien besetzt und 1802 im Frieden von Amiens französisch. Die größte wirtschaftliche Entwicklung und die umfangreichsten Reformen erlebte die Insel allerdings als souveränes Fürstentum unter dem elfmonatigen Aufenthalt Napoleons, der die Insel 1814 übertragen bekam. Nun ist sie italienisch.

    Als Geburtsfehler der EU wurde immerhin inzwischen erkannt, dass Länder wie Großbritannien, Frankreich, BRD und Griechenland, Spanien, Portugal nicht unter einen Hut zu bringen sind und es sich NICHT irgendwie mit der Zeit regeln wird. Da die EU ja aus der EWG bzw. EG hervorgegangen ist, wurden bisher nur wirtschaftliche Ziele verfolgt und die Steuerzahler müssen eine regulierungswütige EU-Regierung UND eine mehr oder weniger dumme eigene Regierung stemmen. Der eigene Staat verschuldet sich sowieso seit den Siebzigern kontinuierlich und jetzt noch zusätzlich die EU…

    Wir haben 2010 einen Verteidigungsetat (Verarschung – besser Kriegsetat) von über 30 Milliarden Euro! Ja ja, einen Teil bekommen wir durch Rüstungsverkäufe an Griechenland wieder herein, aber das reicht nicht. Daseinsgrund der EU muss auch eine gemeinsame Streitkraft sein! Nur durch Verzicht der Mitgliedsländer auf eigene Streitkräfte können sich diese sanieren. Beim Eurofighter dachte ich: „Endlich geht es Los!“ – Alles alte Kamellen, der Tornado war auch schon eine Gemeinschaftsproduktion europäischer Länder. Ich frage mich nur: „Wie konnte man den Engländern ausgerechnet den elektrischen Teil des Tornados überlassen?“ Werden bei feuchtem nebligem Wetter Übungsflüge angesetzt, startet von drei geplanten Maschinen nur eine, der Rest bleibt mit elektrischen Problemen am Boden!

    Fragen wir wegen Abschaffung einer eigenen Armee mal England, Frankreich oder gar Polen. Das war’s dann mit den gemeinsamen Streitkräften (und der EU?)!

  4. Kommentar by Preuße — 21. Mai 2010 @ 08:09

    Lieber Herr Kersting,
    ich glaube, Konrad Adenauer war ein sehr pragmatischer und katholischer Machtmensch. Der Katholik in ihm bewahrte ihn davor, sich vollends dem NS zu verschreiben. Daß er sich opportun verhalten hat, kann man ihm nicht zum Vorwurf machen. Opportunismus zeigten doch alle, bis auf ganz wenige Ausnahmen. Adenauers Pragmatismus führte ihn dazu, Altnazis, die darüber hinaus aber auch Verwaltungsfachleute waren, zu übernehmen. Nach einem Machtwechsel ist es schlicht technisch nicht möglich, neben den neuen Leuten an der Spitze auch den gesamten Apparat auszutauschen. Ohne die „stillen Helfer“ aus Verwaltung und Ministerien läuft nichts. Da kann der neue Mann an der Spitze machen, was er will. Im Kapp-Putsch, an dem mein Großvater väterlicherseits die Ehre hatte, in einer Formation der Brigade Ehrhardt teilzunehmen, versuchte man genau das: Man tauschte die Spitzen der Ministerien aus und verließ sich auf die preußischen Tugenden der Ministerialdirigenten (unseren heutigen Staatssekretären), die die eigentlichen Stellen sind, die alles zusammenhalten. Kapp unterschätzte deren Treue zum Weimarer System. Kapitän Ehrhard von gleichnamiger Brigade hielt sich raus – er war Militär, genau wie Lüttwitz. Folge: Der Apparat stand still. Heute wird der Mißerfolg des Putsches als Erfolg des Generalstreiks der Roten interpretiert – die Sieger schreiben halt die Geschichtsbücher. Nebenbei: Kapitän Ehrhardt ging es wohl mehr um die Geste des Widerstandes gegen das System. Es ist nicht zu vermuten, daß er an einen wirklichen Erfolg glaubte.

    Zur Waffen-SS habe ich eine völlig andere Meinung. Man muß hier streng unterscheiden zwischen der Allgemeinen SS und der SS-VT (VerfügungsTruppe). Ersterer Gruppe waren u.a. auch über das RSHA (Reichssicherheitshauptamt) die Totenkopfverbände, die für die Bewachung in den KL und der Durchführung der „Endlösung“ verantwortlich waren. Die SS-VT dagegen bildete reine Kampfverbände, deren Divisionen im Weltkrieg einen immens hohen Blutzoll zu leisten hatte und überall dort eingesetzt wurde, wo es lichterloh brannte. Viele der ihr vorgeworfenen Gräueltaten wie Geiselerschießungen etc. stimmten völkerrechtlich durchaus mit der Haager Landkriegsordnung überein, der auch die Verbände der Siegermächte folgten – nur spricht man über deren Vergeltungsmaßnahmen und willkürlichen Erschießungen halt nicht mehr – Sieger-Geschichte. Ich empfehle als Lektüre Paul Hausser „Ich diene“. Hausser war der Gründer der SS-VT und führte bis Kriegsende deren Verbände. Mein Vater hat als Panzergrenadier gemeinsam mit Kameraden der Waffen-SS an den Schlachten zur Wiedereroberung von Charkow und der Panzerschlacht Kursk/Orel teilgenommen. Er hat immer erzählt, daß die Landser sich sicher fühlten, wenn sie wußten, daß Verbände der Waffen-SS an ihrer Seite kämpften. Wolfgang Venohr beschreibt sehr gut die Entwicklung der damaigen nationalen Jugend. Seine Werke sind wirklich zu empfehlen:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Venohr

    Falls der Geburtsfehler der EU wirklich erkannt wurde – von wem, bitte? Von uns Normalbürgern? Wen von den Mächtigen interessiert das? Wir werden doch sowieso nicht gefragt. Oder die Mächtigen selbst? Das glaube ich gern, aber auch hier glaube ich nicht, daß die das interessiert. Sie spielen ihr eigenes Spiel. Und eine EU mit der Konsequenz der Aufhebung von Ländergrenzen etc. spielt ihnen in die Hände, weil sie die Kraft der Nationen schwächt.

    Richtig: Wir haben sehr viel Militärgüter an Griechenland verkauft. Wir sind ja auch z.B. unter den größten Händlern weltweit für Handfeuerwaffen. Aber jeder weiß, daß die Griechen diese Waffen sowieso nie bezahlen werden. Auch Israel hat die Uboote noch nicht bezahlt, die wir ihnen verkauft haben, las ich letztens.

  5. Kommentar by G. Voost — 21. Mai 2010 @ 15:34

    Lieber Herr Kraus,

    ich habe manchmal etwas Angst um Sie. Und ich habe manchmal etwas Angst VOR Ihnen!

    Was muß ich bei Ihnen lesen im letzten Beitrag! Es muß streng unterschieden werden zwischen Mördern einerseits und Totschlägern andererseits, zwischen gehängt und geköpft, zwischen völkerrechtlich zulässiger Barbarei und willkürlichen Erschießungen?

    Bitte!

    Nein. Nach 65 Jahren muß ich nicht die Kausalitäten bis in die Steinzeit mit der Lupe suchen. Sie wissen am besten, Kausalität ist ein eigen Ding. Nicht zwei Menschen einigen sich auch nur in einem Phänomen!

    Aber was ich weiß, wie es jeder weiß, ist: Wer außerhalb unmittelbarer Notwehr jemanden tötet, ist böse! Ja, es gibt VIELLEICHT relativierende Umstände. Aber die Menschen, die man damals ließ, waren (wie es heute überall auf der Welt wieder passiert) GERN böse. War der Bauer, der flüchtende Juden denunzierte, böser als ein Mann in Soldatenuniform, der ohne Bedrohung Zivilisten erschoß? Oder war es umgekehrt? Für solche Gespräche sollte uns der Atem zu schade sein. Böse ist ein Seelenzustand. Da gibt es kein Ausweichen und kein Aufbegehren. Es war eine Zeit der bösen Menschen in meinem Vaterland. Und DESHALB haben die Männer unserer Vatergeneration NACH dem Krieg am Abendbrottisch geweint ODER geschwiegen ODER haben ihre Kinder gezüchtigt! Weil sie das wußten.

    Was soll mir da der Hinweis auf Ihre Sozialisierung im soltdateskem Umkreis! Solche Dinge, wie Sie sie beschreiben, hörte ich meine ganze Jugend. Und ich habe mich mit Grauen geschüttelt.

    Alle Begriffe unterliegen ja den Moden. Gab es zu unser Väter Zeit ein völkisches Bewußtsein, bin ich selbst mit der demokratischen Gemeinschaft aufgewachsen. Meine Kinder werden nun mit den Fragen des „wissenschaftlichen“ Schwarmbewußtseins groß.

    Wir wissen nicht was das ist. Aber wir fühlen, es gibt so etwas. Aber WENN es so etwas gibt (oder wir schlicht daran glauben), dann müssen wir auch damit leben. Dann tragen Sie und ich eine Schuld an jedem Versagen der Zeit. Durch Politiker, durch Randalierer, durch Killerspielprogrammierer.

    Die Griechen zahlen ihre Schulden genau so gut wie der Schlachter an Ihrer Ecke seine Steuern. NUR unter Androhung von Gewalt. Wofür also auf ihn weisen? Wir sind da gleich.

    Die Welt ist schlecht. Sie ist wie du und ich! Eine SS war die SS Ihres Vaters. Und sie war die SS des Meinen. So wie die „Deepwater Horizon“ uns beiden nun gehört. Nur für uns beide bohrte sie im Grund.

    Völkisch eben.

    Voost

  6. Kommentar by Preuße — 21. Mai 2010 @ 16:24

    Lieber Herr Voost,
    wir beide wissen, daß wir einander nicht unsympathisch sind. Auch (oder gerade?), als bzw. weil wir festgestellt hatten, daß wir beide völlig unterschiedlich sind. Sie entschuldigen diese kleine (vielleicht überflüssige) Vorrede. Ich will damit zum Ausdruck bringen, daß ich Ihre Kritik zu einem sehr großen Anteil nicht verstanden habe.

    Wir können über das Böse und das Gute philosophieren und kommen höchstwahrscheinlich zu derselben Schlußfoglerung: Das Gute bedingt die Existenz des Bösen und anders herum. In allen Menschen ist immer beides. Und es liegt in der individuellen Verantwortung eines jeden Menschen, das Gute und das Böse, das er immer und für alle Zeiten in sich trägt, zu einem Ausgleich zu bringen. Das gelingt uns zumeist aufgrund Prägung, Erziehung, übernommenen Werten etc. Hier haben wir einen Konsens, ja? Aber das war überhaupt nicht mein Thema.

    Ich ging ein auf allgemeinen Zuweisungen von Böse gegenüber den Soldaten der SS. Daß dies nicht wahr ist, hat ihr, der SS, nicht nur Konrad Adenauer schriftlich bescheinigt (aus welchen Gründen auch immer). Sondern z.B. auch Kurt Schumacher, der erste Vorsitzende der SPD der BRD, der mir als ehemaliger Widerstandskämpfer und KL-Insasse als unverfänglich erscheint und der sicherlich ein ehrenhafter Mann war.

    Es ist ein großer Irrtum, daß Soldaten dem Krieg positiv gegenüberstehen oder ihn befürworten. Kriege werden von Politikern beschlossen, nicht von Soldaten. Wenn ich mich als soldatisch geprägt bezeichne, dann aufgrund des Umstandes, daß viele Männer meiner Familie aus Verantwortungsgefühl gegenüber ihrem Volk freiwillig zur Fahne eilten, wenn sie gerufen wurden, um sich für eben diese Gemeinschaft wehrhaft einzusetzen. Auch für die Pazifisten der Gemeinschaft, die sich, so schien es mir häufig, sich den „Luxus“ des Pazifismus vielleicht nur leisten können, eben weil sie von den Soldaten aus Solidarität beschützt werden. Ja, der Soldat an sich hat in einer vom Volk getragenen Armee für mich etwas zweifellos Ehrenhaftes.

    Wenn ich auf die Haager Landkriegsordnung verweise:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Haager_Landkriegsordnung
    so geschieht dies, um aufzuzeiten, daß man sich aus humanistischen Gründen weltweit bemühte, die Gräuel des Krieges zu mildern. Hier bemühten sich pragmatische Praktier, die eben nicht Regeln einführen wollten, um dann Kriege zu führen, sondern die wußten, daß Kriege in der Natur des Menschen liegen und deren Auswirkungen einem Regulativ unterwerfen wollten. Ob es wirklich eine Alternative darstellt, wenn Pazifisten stattdessen dafür plädieren, überhaupt keine Kriege zu führen, bezweifel ich. Es ist ehrenvoll und ethisch, diese Forderung aufzustellen, aber es ist weltfremd, daran zu glauben, daß es durchsetzbar ist.

    Und genau wegen dieses Regulatives wies ich darauf hin, daß Gräueltaten der Alliierten, die durchaus begangen wurden, zum großen Teil durch eben diese Haager Landkriegsordnung gedeckt waren. Ebenso Gräueltaten der Waffen-SS und der Wehrmacht. Der weniger große Anteil an Gräueln, die gegen eben diese Haager Landkriegsordnung verstießen, wurden zu einem großen Teil sowohl von den Alliierten als auch von der deutschen Wehrmacht bzw. der Leitung der Waffen-SS verfolgt.

    Dennoch bleiben Gräuel eben Gräuel. Egal, von wem verübt, egal, ob unter das Regulativ fallend oder dagegen verstoßend. Das liegt daran, daß Krieg an sich ein Gräuel ist. Eine Geißel der Menschheit.

    Noch einmal, damit meine persönliche Meinung deutlich wird: Hätte ich 1945 entscheiden dürfen, dann hätte man jeden Deutschen, der an der Vernichtung von Juden, Zigeunern, Schwulen oder sonstigen Gruppierungen nachweislich teilgenommen hat – und zwar egal, auf welcher Befehlsebene, ohne Prozeß erschossen. Wer das Leben anderer aufgrund dessen Nationalität, Rasse, Religion, sexueller Ausrichtung nicht respektiert, verliert in meinen Augen das Recht auf sein eigenes Leben. Dies entspricht nicht Ihrer Auffassung, ich weiß das. Aber meiner. Und sie hätte dann für alle gelten sollen: Für denjenigen, der einen Juden im Osten erschoß oder in die Gaskammer trieb genau so, wie für denjenigen, der in von Ostpreußen bis Berlin Frauen und Mädchen vergewaltigte und sich heute dafür im deutschen Fernsehesender Phoenix feiern lassen darf. Und auch für denjenigen, der Städte und Dörfer eines ganzen Landes gezielt mit Feuerstürmen überzog, um möglichst viele Zivilisten umzubringen. Nein, ich hätte so einen Menschen ganz bestimmt nicht nachträglich geadelt.

    Ich sprach bisher im Konjunktiv „ich hätte“. Und möchte zum Schluß in den Indikativ „ich werde“ wechseln: Wer in meiner Gegenwart aufgrund seiner Nationalität, Rasse, Religion oder sexueller Ausrichtung diffamiert, angreift oder in welcher Weise auch immer herabsetzt, den werde ich ohne Schonung meiner Person bekämpfen. Das habe ich schon mehrmals getan, spreche nur nicht darüber. Wozu auch. Für mich ist das eine Selbstverständlichkeit als bekennender Preuße. Verstehen Sie das?

    Das gehört sich einfach so.

    Georg Kraus

  7. Kommentar by G. Voost — 22. Mai 2010 @ 10:18

    Ja, wir verstehen einander schlecht. Ich weiß auch überhaupt nicht worauf Sie hinaus wollen in dieser Sache. Ich wollte nicht philosophieren. Und vor allem nicht psychologisieren. Böse ist böse. Was sonst? Erst wenn ich eingreifen kann oder muß, macht es Sinn, zu relativieren.

    Aber Sie reden so, als ob Ihnen folgendes Bild rätselhaft wäre:

    Ich breche Nachts bei Ihnen ein und pinkele erst auf Ihren Teppich um dann das Familiensilber zu suchen. Sie lassen Ihren großen, häßlichen Hund los aber mit Mut oder Geschicklichkeit gelingt es mir Ihren treuen Begleiter zu töten.

    In welcher Zeitung kann nun stehen, ich wäre ein Held und hätte meine Haut voller Mut verteidigt und nur deshalb hätten nun meine Kinder noch einen Vater?

    Richtig! Nur das Zentralorgan der Gilde der Diebe und Mörder würde sich so verlauten lassen.

    ALLE anderen Menschen werden lesen wollen, daß ich leider entkommen bin und eine Belohnung auf meine Ergreifung aussetzen.

    Was unterscheidet dieses Bild von den beiden Kriegen, auf die Sie so oft anspielen? Auf wessen Teppiche haben unsere Väter gepinkelt und dito unsere Großväter? Richtig. Nicht auf die eigenen. Und sie sind verdammt noch mal erwischt worden.

    Was gibt`s zu relativieren? Aber der Hund des Herrn Kraus hatte Zähne? Unfair?

    Und kommen Sie mir nicht mit Soldatenehre! Sie treten nicht den Hells Angels bei, wenn Sie keine Gewalt mögen (oder Sie sind SO blöd, daß mein Mitleid auch da nicht greift).

    Sie haben die Bilder und Texte alle gelesen. Jeder Schuß ein Ruß, jeder Stoß ein Franzos! Nein, Gewalt macht Freude. Und hat auch Ihren Vorfahren Freude gemacht.

    Soldatenehre? Weil der eine oder andere nur Schmiere gestanden hat und nicht selbst den Teppich netzte? Das sind nur Details und Fußnoten. Das bringt unser beider Auseinandersetzung nicht in Schwung!

    Soldatenehre? Mit Verlaub: Ich scheiß drauf! Ich fasse keine Waffe an, es sei denn ich will schießen! Und ich schließe nicht aus, daß ich das eines Tages tun will. Aber es ist dann immer noch böse! Und für den, der mir dann im Wege steht wird es böse enden. Und blutig.

    Vom Volk getragenen Armee? Wann gab es denn sowas? Das Volk trägt jedes viertel Jahr etwas anderes. Nein, Armeen werden von den Königen bezahlt!

    Sie sehen doch grad jetzt wieder, wie langsam die Gewalt in unserer Gesellschaft aufblüht. Die Gründe heute? Langeweile? Underpowert poor? Medienoverkill?

    Jedenfalls aber LUST an der Gewalt. Lüsternes Gruseln.

    Aber SIE befassen sich mit der Frage von Ehrenhaftigkeit. Haben Sie denn das nie reflektiert? Ehre? Wer Ehre gewährt? Wer sich an Ehre aufgeilt? Warum? Die Beziehung zwischen Ehre und Moral und Recht und allgemeinem Menschengut?

    Mein Sohn würde sagen: Da kackt die Ehre echt ab!

    Aber ja, natürlich ist es wie Sie sagen: Wir haben immer recht respektvoll mit dem Anderen kommuniziert. Und das will ich gern weiter so halten. Und ich werde in Zukunft versuchen, bei diesen Themen nicht auf die Palme zu geraten. Ich werde in Zukunft mich mit dem Satz zu beruhigen versuchen: Herr Kraus ist halt alt. Da hat er etwas die Farbe seines Vater angenommen und wohl deshalb dessen Geschichten nicht recht hinterfragen mögen.

    Ihr böser

    G. Voost
    (*1951)

  8. Kommentar by Preuße — 22. Mai 2010 @ 20:03

    Wir verstehen einander nicht schlecht. Wir verstehen einander überhaupt nicht. Und die Frage ist nicht nur, ob das überhaupt notwendig ist, sondern auch, warum wir einander nicht ganz einfach so respektieren, wie wir sind. Dazu ist ein gegenseitiges Verständnis nicht notwendig.

    Was mir auffällt:
    Sie sind der bekennende Pazifist — was immer Sie genau darunter verstehen. Ich bin der bekennende soldatisch Denkende — was das im Detail heißt, habe ich hier nie erläutert, weil ich nicht alles erklären muß. Aber Sie sind eindeutig der emotionalere und aggressivere in unserem Dialog. Irgendwie paßt das (für mich) nicht zu meinem subjektiven Bild eines Pazifisten und auch Sie sollten das doch eigentlich nur schwerlich mit Ihrem Bild von mir in Übereinstimmung bringen können. Ich schätze das Wort der Rosa Luxemburg (und niemand wird mir unterstellen, daß ich sonderliche Sympathien für diese Person hege. Aber meine Antipathie ist nicht relevant in Bezug auf den Wahrheitsgehalt ihrer Aussage): Toleranz bedeutet immer Toleranz für den Andersdenkenden. Ich möchte das sogar noch erweitern. Toleranz bedeutet Duldung, also passive Hinnahme. Ich jedoch toleriere Ihre Ansichten nicht nur, sondern ich respektiere Ihre Auffassungen und Sie selbst. Respekt ist etwas sehr wichtiges. Sowohl Respekt einfordern, aber auch Respekt gewähren. Im Moment habe ich den Eindruck, Sie zollen mir diesen Respekt der anderen Meinung und Auffassung nicht, sie tolerieren sie nicht einmal. Das empfinde ich als höchst fragwürdig und bitte Sie, darüber einmal nachzudenken.

    Mit freundlichem Gruß
    Georg Kraus

  9. Kommentar by G. Voost — 22. Mai 2010 @ 21:10

    Kommunikation ist kompliziert.

    Zitieren ist auch eine komplizierte Sache.

    Rosa Luxemburg lebte in einer Zeit, in der Toleranz eine Mangelware war. Und sie hat für diese Ware werben müssen.

    Heute muß man in dem Gutmenschenhype in dem wir leben, manchmal darauf aufmerksam machen, daß Toleranz ja durchaus Grenzen haben muß. Den Sänger Robert Long will ich hier nicht zitieren, Sie würden das bei unserem jetzigen Gesprächststand auf sich selbst beziehen und als aggressiv verstehen. Aber das meine ich überhaupt nicht.

    Ich mißtraue Worten, wenn sie sich zu gut anhören. Oft ist es das Versmaß, die Lyrik und nicht der Sinn, der uns da anleuchtet. Aber natürlich haben Sie und die Dame recht. Im Rahmen der anderen Notwendigkeiten der menschlichen Gemeinschaft.

    Und zu diesen Notwendigkeiten gehört für mich, die Stirn zu runzeln, wenn jemand, den ich schätze, Sätze schreibt wie „….die allgemeine Zuweisung des Bösen gegenüber der SS trifft nicht zu. . . .“.

    Wenn ich Sie nicht schätzen würde, wäre ich mit keiner Zeile darauf eingegangen. So erregt das aber meinen Zorn.

    WEIL ich sie schätze und WEIL ich Sie respektiere.

    Sehen Sie, wir verstehen uns zwar nicht, wir wissen aber von dem jeweils Anderen, daß er durchaus eine mindestens normale Intelligenz zu gebrauchen weiß.

    So weiß ich natürlich, das es Menschen in der SS gegeben hat, die mit bestem Willen an dem Werden der neuen Zeit mitwirken wollten. Ich weiß auch aus eigenem Bekanntenkreis, das es ein nicht allzu seltener Fall war, das junge Männer der SS sich nach ihrem ersten Einsatz hinter eine Hecke hockten und sich in den Mund schossen. Menschen also, die in der SS waren und dennoch ein gut funktionierendes Gewissen hatten. All das ist mir bekannt. Und es mag ja vielleicht auch eine Einheit oder einige Einheiten gegeben haben, die aus verschiedenen Gründen als unbeteiligt anzusehen sind. Das kann ich erkennen. Das kann ich glauben.

    Aber Sie sind kein Historiker. Diese eher akademischen Marginalien hier in solche Sätze zu packen, ist für mich wie für die meisten Menschen einfach eine Ohrfeige gegen mein humanistisches Grundgefühl. Eine Provokation, auf die ich nur so reagieren kann, wie ich es nun getan habe. Und eine Provokation, deren Quellen ich natürlich nicht erkennen kann (siehe: nicht verstehen). Erkennen können Sie Ihre Sätze als Provokation aber selbst auch, das weiß ich. Das haben Sie ja schon oft geschrieben.

    Sie schrieben den Satz gestern: Wer in meiner Gegenwart aufgrund seiner Nationalität, Rasse, Religion oder sexueller Ausrichtung diffamiert, angreift oder in welcher Weise auch immer herabsetzt, den werde ich ohne Schonung meiner Person bekämpfen. Das habe ich schon mehrmals getan, spreche nur nicht darüber. Wozu auch. Für mich ist das eine Selbstverständlichkeit als bekennender Preuße. Verstehen Sie das?

    Das habe ich gern gelesen.

    Und hier nun sind wir uns wieder gleich und verstehen uns gut. Wer sich dem Verdacht aussetzt, Menschen zu bewundern, die andere Menschen aufgrund ihrer Nationalität, Rasse, Religion oder sexueller Ausrichtung diffamieren, angreifen oder in welcher Weise auch immer herabsetzen, (in diesem Falle aber sogar: Ganz Europa aus Arroganz anzündeten mit Mann und Maus) muß mit meiner Aufmerksamkeit rechnen und mit meinem Widerspruch. Das sage ich als bekennender Humanist. (Mit „Pazifist“ kann ich selbst nicht anfangen)

    Und aggressiv? Na ja, in meinen wirklichen Lebensbelangen bin ich nachdrücklich. Das will ich auch!

    Und: Mir ist natürlich aufgefallen, daß Sie sich nicht auf eine Diskussion eingelassen haben, sondern lediglich guten Ton und Fairness erbeten haben. Aber ich bin froh darüber, denn sonst schrieben wir hier mehr, als unsere Zeit zulassen würde. Und ob unseren Disput jemand Fremdes mit Interesse lesen würde, ist ja zweifelhaft.

    Mit freundschaftlichem Gruß aus Hamburg

    G. Voost

  10. Kommentar by Preuße — 22. Mai 2010 @ 22:57

    Lieber Herr Voost,
    danke für die Klarstellung. Ich verstehe Ihre Motivation jetzt und auch die Unsicherheit in Bezug auf Ihre Einschätzung meiner Person ist wieder weg. Mehr wollte ich zunächst gar nicht.

    Ich sehe das Problem so:
    Sie haben eine historische Sichtweise inhaliert, die in der BRD gewollt zum Dogma wurde. Jede Abweichung oder gar Widerspruch gegen dieses Dogma wird in der BRD gesellschaftlich als Tabubruch angesehen. Der Tabubrecher wird nicht nur der gesellschaftlichen Ächtung unterworfen, sondern er wird, das kann ich nachweisen, einer Hetzjagd ausgesetzt, die bis zur Vernichtung der bürgerlichen Existenz führen kann. Eine von amtlicher Seite (kommunal, regional, bundesweit) wohlwollend geduldeter und finanziell unterstützter, loser Zusammenschluß politisch linksliberal orientierter Organisationen, die sich übrigens auch „Humanisten“ nennen, dafür aber sehr kämpferisch vorgehen (es mag sein, daß ich an eine falsche Definition von Humanismus glaube), sorgt nicht nur dafür, daß Widerstand gegen diese Dogmen gebrochen wird, sondern — und das ähnelt durchaus den perfiden Hexenjagden längst vergangener Zeiten — sie fordern wie selbstverständlich für sich die Deutungshoheit darüber ein, wer nun ein Tabubrecher ist, also Widerstand gegen die erwähnten Dogmen leistet und wer nicht. Das ist genau der Punkt, den Sie erwähnen: Wer, bitte, bestimmt, wann die Toleranz die Grenze erreicht hat? Robert Long? Den ich leider nicht kenne und auch nicht sein Schaffen? Oder Sie? Da bleibe ich lieber bei Rosa Luxemburg, denn deren Definition der Toleranz des Andersdenkenden überzeugt mich eher als die Definition des Herrn Long oder die Ihre.

    Sie zitieren eine Aussage von mir „Wer in meiner Gegenwart aufgrund seiner…“. Dazu stehe ich auch jetzt. Und genau aus dieser Sichtweise heraus widerspreche ich Ihnen. Genau aus dieser meiner Grundhaltung heraus formuliere ich es auch gern plakativer: Wer in meiner Gegenwart als Schwuler, Schwarzer, Türke, Zigeuner, oder Jude diffamiert oder angegriffen wird, der macht mich damit automatisch aus Solidarität zu eben einem solchen. ICH bin dann der Schwule, der Schwarze, der Türke, der Zigeuner oder der Jude. Meine Solidarität ist mir Verpflichtung aus mir selbst heraus, hat nichts damit zu tun, ob ich Angehörige dieser Minderheiten mag oder nicht. Es ist mein Menschengefühl für Gerechtigkeit. Und genau das gilt auch für pauschale Verurteilungen der Waffen-SS. Es geht nicht um Zigeuner, Juden, Schwule oder Nationalsozialisten. Es geht darum, daß Minderheiten dieselben Rechte auf ihre freie Meinung haben wie Sie und ich. Völlig gleichgültig, ob ich sie mag oder nicht oder mit ihren Auffassungen übereinstimme oder nicht.

    Heute ist Toleranz genau so Mangelware wie 1920. Der Mensch ist, wie er ist.

    Ich wünschte, es wäre möglich, daß Sie mich einladen und ich dieser Einladung folgen könnte. Wir würden einen Abend an Ihrem Kaminfeuer verbringen, Sie würden einen guten Wein trinken (ich weiß ja: Klischee. Aber Sie haben doch einen offenen Kamin und trinken gern Wein?). Ich würde Sie um eine Kanne Kaffee bitten und um die Erlaubnis, meinen Gauloise-Tabak mitbringen zu dürfen. (Wir können uns auch so einigen, daß ich alle zwei Stunden kurz auf die Terasse verschwinde, um dort zu rauchen). Und dann, lieber Herr Voost, würde ich Ihnen erzählen. Von Deutschland. Und vom Großen Weltenbrand 1914 und wie er zustande kam. Von der Kriegsschuldfrage, die schon seit langen Jahren weder im Inland, noch im Ausland ausschließlich auf das Deutsche Reich zeigt. (Außer beim SPIEGEL, der vom Volk spricht, das die Welt mit Krieg überzog. Naja. Der SPIEGEL. War auch schon einmal besser, das Blatt.). Ich würde Ihnen erzählen, daß man im Ausland (England) vielfach gar nicht so streng wie wir in Deutschland unterscheidet zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg. Und das aus gutem Grund, denn im Diktatfrieden von Versailles lagen schon die Gründe für ein Aufflammen des Konfliktes verankert. Ich würde Ihnen von Wolfgang Venohr erzählen, auf den ich im Artikel verweise. Sie haben den Artikel unter dem Verweis nicht gelesen. Weil Sie mich als Tabubrecher betrachten und das Dogma dem Risiko einer blasphemischen Beschmutzung ausgesetzt sehen. Und ich würde Ihnen von meinem Vater erzählen, der keinesfalls so gefärbt war, wie Sie annehmen. Meine Sichtweisen der deutschen Geschichte habe ich erst recht spät neu sortiert. Bis dahin war ich ein Suchender, der nur spürte, daß an der offiziellen Sichtweise etwas nicht stimmen kann. Ich bin Spätentwickler und ich bin Autodidakt.

    Vielleicht geht ja doch alles gut (mit mir) und Sie laden mich tatsächlich ein. Ich würde dann im Elysée Hotel absteigen, das ich aus meiner beruflichen Zeit sehr gut kenne und schätzen gelernt habe. Die haben eine Piano-Bar, die auch Nicht-Hotelgästen geöffnet wird, eine Bibliothek, in der man ruhig sitzen und Kaffee und bestimmt auch Wein trinken kann. Wir hätten also sogar einen alternativen Treffpunkt.

    Ihr Ihnen verbundener
    Georg Kraus

  11. Kommentar by G. Voost — 23. Mai 2010 @ 13:38

    Ihr Vorschlag hört sich gut an für mich. Kamin: Ja. Terrasse: Ja. Gästeappartement auch, Elysée Hotel also nicht notwendig.

    Was ich schätze an Ihnen ist, daß Sie sich etwas trauen! Schwule und Zigeuner mit der SS gleichsetzen (ja ja, jemanden absichtlich mißverstehen ist auch demagogisch, ich weiß!) ist in der Tat ein Tabubruch. Aber weshalb tun Sie das? Das interessiert mich.

    Sie haben ja in anderen Bereichen solche Tendenzen nicht. Viele Dinge sind gesellschaftlich tödlich: Sie sollten heute keineswegs Sex mit Kindern relativieren. In den 80ern ging das noch. Verschleierung von Frauen zu befürworten, ist genau so vernichtend für Ihr Sozialleben. Vor noch nicht allzu langer Zeit konnte man noch hören, daß vergewaltigte Frauen doch wohl eine Mitschuld trügen, wenn sie aufreizend gekleidet waren.

    Und sie wissen das. Und leben gemütlich damit. Und Sie werden gewiß nicht schlecht schlafen, weil Sie erst einmal überlegen müssen, ob diese Tabus richtig oder sinnvoll oder „gerecht“ sind.

    Ich habe neulich in meiner Stammkneipe bei der südländisch aussehenden Bedienung einen NEGERKUSS bestellt. ACH JE! Nur mein Alter schützte mich vor dem gesellschaftlichen Aus!

    Sie haben, scheint´s, andere Lehren aus „Michael Kohlhaas“ gezogen als ich.

    Bis bald in Hamburg
    G. Voost

  12. Kommentar by Preuße — 23. Mai 2010 @ 16:46

    «Aber weshalb tun Sie das? Das interessiert mich.»

    Weil ich sonst an all den Lügen ersticke.
    Und weil ja weiter gelogen wird. Auch über das, was heute geschieht.
    Und daß wissen Sie genau so gut wie ich.

  13. Kommentar by G. Voost — 23. Mai 2010 @ 16:52

    Schrieben Sie, ich sei der Emotionalere in unserem Gespräch?

    Darf ich einmal 🙂 schreiben?

    G.V.

  14. Kommentar by Preuße — 23. Mai 2010 @ 17:25

    Knurr…

  15. Kommentar by Thomas Kersting — 25. Mai 2010 @ 01:49

    Sehr geehrte Herren,

    ich komme gerade vom Rhein geradelt. Es gab einen herrlichen Sonnenuntergang…

    Es erstaunt mich schon, welche Diskussion der Bericht über die Triumphfahrt der Nazis durch Wien anlässlich des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich mit dem Mercedes, der auf dem Kühler statt des Sterns die Buchstaben „TS“ (Tauber Spezial) trug, ausgelöst hat!

    Wie es weiterging ist bekannt: (oder…?)
    „Reichsstatthalter der Ostmark, wie Österreich nun hieß, wurde Seyß-Inquart. Innerhalb kürzester Zeit wurden die 1933 bis 1938 in Deutschland umgesetzten Maßnahmen zur Umgestaltung und Erfassung von Staat und Gesellschaft auf Österreich übertragen. Der Terror der Nationalsozialisten übertraf anfangs noch das im bisherigen Deutschen Reich erlangte Ausmaß. Allein zwischen dem 12. und dem 22. März gab es in der Ostmark offiziell 1.742 Festnahmen, in Wien 96 Suizide. Sozialdemokraten, Kommunisten und Juden, beispielsweise Sigmund Freud und Richard Tauber, blieb zur Rettung nur die Flucht.

    Hitler setzte seinen Expansionskurs fort. Noch im März 1938 beschloß er, die Zerschlagung der Tschechoslowakei in Angriff zu nehmen und die Sudetenkrise zu initiieren.“

    …oder sind die anderen Ausführungen weiter oben eine bessere Beschreibung?

    Ich bin nun seit fünf Jahren mit einer Dokumentation mehr oder weniger intensiv beschäftigt mit den Titel „Aufstand des Gewissens“. Die Auswertung der Quellen, deren Menge sogar noch heute ständig zunimmt – und dadurch die Geschichte keinesfalls zu einem statischen, verstaubten Forschungsgebiet werden lässt (sie lebt noch immer!), und deren Kommentare und Auswertungen, variieren die Geschichte ständig. Krass (nicht Kraus) ausgedrückt: Je nachdem, welcher Quellen sich bedient wird, ist der Blickwinkel „V“ oder „K“ oder eben „X“, „Y“ oder „Z“ anzuwenden. Nach der Menge der vorliegenden Unterlagen zu urteilen befand sich damals das gesamte Deutsche Reich im Widerstand…

    Leider ist es mir nicht gelungen, mit Philipp von Boeselager zu seinen Lebzeiten über den 20. Juli reden – wegen der räumlichen Nähe zu seinem Anwesen bot sich dies geradezu an -, doch meine Auftraggeber sahen das für das Projekt nicht vor, trotzdem auch die Autoren noch einige Fragen hatten. So wird eben Geschichte geschrieben und geformt!

    Siehe:
    http://www.faz.net/s/RubCF3AEB154CE64960822FA5429A182360/Doc~E0E54C29AE31345D9B93C3E2478D9B1CA~ATpl~Ecommon~Scontent.html

    Suchen Sie mal noch Zeitzeugen wie Herrn Busch, der auf dem Gymnasium schon etwas Englisch gelernt hatte. Er hat mit fünfzehn Jahren 1945 die Verhandlungen über den ersten Brückenkopf der Alliierten geführt:
    „Erpel, 7. März 1945. Im Eisenbahntunnel an der Ostseite der Ludendorffbrücke wartet ein Häuflein Zivilisten und Soldaten auf die erlösende Sprengung. Viel Rauch um nichts. Die Brücke hebt sich ein wenig und sackt dann kaum versehrt auf ihre Pfeiler zurück. So erzählt es der Ingenieur Karl Busch aus Erpel, der heute in Sankt Augustin lebt. Busch ist 15 Jahre alt und Flakhelfer auf Erpeler Seite, als die Amerikaner die Brücke überqueren. Ein paar GIs postieren sich vor dem Tunnel und schießen sporadisch hinein. Eine gefährliche Situation, denn, so erinnert sich Busch, „es standen vier mit Munition und Flugbenzin beladene Waggons im Felsen (Tunnel); ein einziger Treffer hätte für eine Explosion ausgereicht“.

    Der Erpeler Zivilist Willi Felten fasst sich ein Herz und rennt mit einer weißen Fahne auf die GIs zu. Fatal. Ein Bauchschuss streckt ihn nieder. Der einzige Tote, von dem Busch weiß. Ihn stupst eine Frau im Tunnel an: „Geh raus und hol den Willi.“ Busch zögert – und erinnert sich, wie er sagt, plötzlich an einen Kriegsfilm mit Rene Deltgen. „Stop firing!“ brüllt Busch, als er aus dem Tunnel rennt, immer wieder: „Stop firing!“

    US-Truppführer Karl H. Timmermann lässt sich tatsächlich auf Gespräche ein. Als die etwa 15 US-Soldaten erfahren, dass knapp 200 Menschen im Bahntunnel stecken, werden sie höllisch nervös. Nervenaufreibende Sekunden. Dann soll der 15-jährige Flakhelfer zurück in den Tunnel und mit einem Offizier wiederkommen. Das gelingt erst nach einer Weile, wie Busch sich erinnert, weil die deutschen Befehlshaber zunächst zögern.

    Dann aber kommt es zu Verhandlungen über den Abzug der Menschen im Tunnel, bei denen Busch, so erzählt er, den Dolmetscher spielt. Als alles geklärt ist, wendet Timmermann sich an den jungen Übersetzer: „Gut gemacht!“ sagt er in perfektem Deutsch. Der Offizier hatte deutsche Eltern. Erst da, so weiß es der Zeitzeuge Busch noch heute genau, lässt endlich die Angst nach. Wenig später beginnen die US-Transporte über die Brücke.“

    Gewissen? Welches hatten die Menschen, die z.B. Konrad Adenauers Frau im Zuge der Operation „Gewitter“ verhört hatten, an deren Folgen sie letztendlich gestorben ist? Heute kann jeder leicht behaupten, er hätte sich 1938 schützend vor ein Schaufenster jüdischer Mitbürger gestellt, nicht wahr? Es fand sich 1938 im Hotel Kempinski keiner unter den zahlreichen – teils ausländischen – Gästen mit solchem Gewissen, als Uniformierte Richard Tauber zusammenschlugen. Auch die später in den Nürnberger Prozessen als „nicht betroffen“ eingestuften deutschen Starsänger hatten zu Hitlers Geburtstag im „teuersten Chor der Menschheitsgeschichte“ gesungen – wegen der „befohlenen Kunst!“ Solche Menschen musste es allerdings geben: Haben sie doch durch ihr Bleiben für jüdische Zeitgenossen die Flucht bei Goebbels tw. persönlich erbeten und ermöglicht.

    Damit sind nicht die verachtenswerten Mitläufer gemeint, die sich politisch angeblich nicht engagierten, trotzdem das System zum eigenen Fortkommen nutzten wie z.B. Herbert von Karajan:
    „Er ist genau genommen sogar zweimal in die NSDAP eingetreten. Das erste Mal geschah dies am 8. April 1933 in Salzburg. Er zahlte die Aufnahmegebühr, erhielt die Mitgliedsnummer 1607525 und zog nach Ulm. Es heißt, dieser Beitritt sei formell nie vollzogen worden. Fest steht auch, dass Karajan im März 1935 in Aachen noch einmal in die NSDAP eintrat, dieses Mal erhielt er die Mitgliedsnummer 3430914. Nach der „Annexion“ Österreichs entdeckte die zuständige Reichsschatzmeisterei der NSDAP in München Karajans doppelte Mitgliedschaft und erklärte den ersten Beitritt für ungültig. Den zweiten datierte sie rückwirkend auf den 1. Mai 1933.“ Karajan konnte nur so groß werden, da er politisch korrekt wartete und den Platz entbehrlich gewordener Künstler einnahm!

    …oder Leni Riefenstahl:
    Nachdem Willy Ziehlke 1935 die Dreharbeiten zu dem sehenswerten Film „Das Stahltier“ („die Dampflokomotive“) abgeschlossen hatte, der dem Propagandaministerium unter Joseph Goebbels zu avantgardistisch erschien und daher verboten – ähm, nicht gezeigt wurde, bekam er 1936 den Auftrag für den Prolog der Olympia-Filme. Ob Frau Riefenstahl nur den Erfolg nicht teilen wollte oder in ihrer Eitelkeit gekränkt war, da Ziehlke ihren bei den Dreharbeiten dargebotenen Reizen (die laut Ziehlke garnicht so üppig waren) widerstand und keine Nacktaufnahmen mit ihr machte, sondern nur ihre Hände im Prolog zeigte, ist letztlich nicht mehr zu klären. Willy Ziehlke wird im Vorspann der Olympia-Filme nicht erwähnt! Leni Riefenstahl war eine der wenigen von Hitler akzeptierten Frauen, die er auch als Künstlerin achtete. So bekam sie u.a. die Aufträge, seine Parteitage filmisch umzusetzen. Jedenfalls wurde Willy Ziehlke 1937 unter mysteriösen Umständen wegen angeblicher Schizophrenie (so heißt es, wenn man eine Frau nicht beachtet) in die Psychiatrie Haar eingeliefert und zwangssterilisiert. 1942 brauchte Riefenstahl für den Film „Tiefland“ einen guten Kameramann, da ihr die Verpflichteten alle davongelaufen waren. Der angeblich „unheilbar kranke“ Ziehlke wurde entlassen und führte die Dreharbeiten fort – welche Alternative hatte er auch? Die BRD zahlte ihm nach jahrzehntelangem Rechtsstreit 1987 großzügig eine Summe von 5000 DM als Entschädigung für die Zwangssterilisation. 1989 ist er im Alter von 86 Jahren gestorben.

    Ich habe mit Rücksicht auf meinen Auftraggeber und die Urheberrechte der Autoren an der ganzen Diskussion zu diesem Eintrag bisher nicht teilgenommen, daher abschließend nur vorstehender Kommentar.

RSS feed for comments on this post. TrackBack URL