Preußisches Bleisatz-Magazin
Messer raus

Landtagswahl NRW 2010 — Rosinenmürbchen 2.323 views 0

Oh, Mann… lecker… Ich liebe diesen frischen, zarten, saftigen und süßen Mürbchenteig. Die Rosinen darin, die beim Draufbeißen die Geschmacksknospen im Rachen wie mit Ambrosia umnebeln «Nimm mich, beiß mich, mach mich fertig». Bestrichen mit «guter Butter», wie es in meiner Kindheit hieß, weil es die nur sonntags gab und eigentlich nur für Mutters Frühstücksstuten. Vater machte sich nichts aus Süßem und die beiden großen Schwestern lagen sonntags bis Mittags im Bett. An den Sonntagmorgenden gehörte Mutter mir allein. Und klar gab sie mir etwas ab von ihrem Frühstück — so etwas prägt offensichtlich für’s Leben. ‚S gibt schlimmeres. Dazu gehört natürlich der hochprozentige Sahnequark. Heute vergessen wir ‚mal die Magerstufe, schöpfen aus der Fettlebe. Die Krönung bildet dann die Erdbeermarmelade mit ganzen Früchten. Nichts dekadentes, ganz schlicht: Man nehme Erdbeeren, koche sie mit Gelierzucker zu Marmelade ein, ein bißchen Vanille daran und fertig. Es gibt tatsächlich nichts besseres.

Ein prüfender Blick und in sicherer Einschätzung 25 Einheiten Insulin subkutan gespritzt, werden den hohen Zuckergehalt schon in etwa abfangen. Der Rest ist heute einmal Schwund, muß der Körper mit leben. Die ca. 2.000 Kalorien packen wir dann später als Fettpölsterchen für schlechte Zeiten mit auf die Hüften.

Apropos schlechte Zeiten: Immer noch will mir ein Volkswirtschaftler, mit dem ich einmal befreundet war, bis wir uns aufgrund «unüberbrückbarer politischer Gegensätze», wie er das auszudrücken pflegt, eben diese Freundschaft aufkündigten, erzählen, daß das weltweite (Re)Agieren der Börsen, des IWF und der Politiker-Mischpoche wissenschaftlichen Gesetzen folgt und sich eben jene Mischpoche Tag und Nacht der schweren Verantwortung für ihr Volk bewußt ist und für eben jenes aufreibt. Ich rief ihn gestern an.

«Na, mein Lieber. Deine Hochfinanz-Spekulanten wetten gegen den Euro, mh? Wer macht denn nun den größten Reibach von denen? Weißt Du, wer dahinter steckt?»

«Mach‘ Dir keine Sorgen. Du hast doch gelesen, daß die EU gemeinsam mit Obama strenge Kontrollinstanzen aufbauen wollen, um die Haie im Finanzmarktsektor, die es zweifellos gibt, an die Kandarre zu nehmen. Angie und Sarkozy werden unsere Währung schon schützen

Ich kann nicht anders und pruste los. Eine (griechische) Rosine steckt in meiner Luftröhre, ich ersticke fast. Gleichzeitig wird mir übel vor Wut und mein Magen krümmt sich zusammen. Nur jetzt nicht auf den Teppich kotzen.

An der Wallstreet zeigen die Spekulanten der Hochfinanz Angie und Sarkozy gerade dezent, wo der Hammer hängt. Längst werden die globalen Entscheidungen von einer kleinen Clique von Profiteuren gesteuert. Und keiner soll mir erzählen, daß unsere Damen und Herren führenden Politiker nicht wissen, was jeder Zeitungsleser mitbekommen kann: Diese elendigen Büttel der Zinsknechtschaft haben unsere Welt fest im Griff. Wir alle schimpfen auf die Griechen und fragen zu recht, warum wir für deren unverantwortliche Geldpolitik der letzten Jahrzehnte gerade stehen müssen. Weil uns allen vorgemacht wird, daß ja gerade wir in der BRD viel besser mit den Finanzen umgegangen sind. Was für ein Hohn. Soll doch das System zusammenfallen wie ein Kartenhaus.

Heute ist Wahlsonntag. Was wähle ich nun? Pest oder Cholera? Ich entscheide mich für Rosinenbrötchen, lasse meine Erststimme verfallen, weil ich keinem dieser Kandidaten den direkten Weg zum wärmenden Abgeordneten-Sessel im Landtag gönne und wähle mit meiner Zweitstimme die, von denen ich mir eine nationale Politik verspreche. NRW ist sowieso ein künstliches Gebilde der Siegermächte. Auch, wenn wir nur noch Deutsche kennen, so trennt Westfalen und Rheinländer mehr als nur der Karneval. Aber gut, es ist nun einmal so. Und wenn schon, dann lieber mit den Westfalen als mit sonstwem. Heute Abend werden sich sowieso wieder alle als Sieger gerieren. Und völlig egal, welche Koalition aus Brech- und Abführmitteln dann die Landesregierung bildet: Das Sagen hat das Geld — Nokia läßt grüßen.

Heute ist Ruhetag. Gestern habe ich bis fast 23 Uhr gearbeitet. Das war gar nicht vorgesehen, ging aber nicht anders. Ich werde Mutter kurz anrufen. Offiziell steht sie nicht auf Muttertag. Aber gebe ich ihr nicht wenigstens die Chance, das in einem Telefonat zu erwähnen, wird sie mich das ganze Jahr über daran erinnern, wetten? Rolf nebenan schmeißt gerade seinen Grill an. Wir wollten eigentlich gemeinsam… aber ich habe vergessen, ein paar Würstchen zu kaufen. Egal, ich werde mich ein wenig zu ihm in die Sonne setzen und meinen dicken Rosinenmürbchen-Bauch streicheln. Das arme Ding, in das sie nächste Woche lange Hohlnadeln stecken werden, um sich davon zu überzeugen, was darin nicht in Ordnung ist. Ein Chirurg hat mir einmal bestätigt, daß es bei einer Leberoperation im OP riecht wie in einer Metzgerei mit Schweinelebern. Seitdem esse ich nur noch Leber vom Kalb. Schluck. Was für ein blöder Scherz. Was machen sie eigentlich mit einer Leber, wenn sie die herausoperiert haben? Wird die beerdigt? Oder ist die danach… äh… Abfall? Was für blöde Gedanken. Ach, das ist erst Mittwoch, also noch lange hin. Und nächsten Sonntag habe ich es schon hinter mir; so oder so.

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