Preußisches Bleisatz-Magazin
Satire

Von Gott und dem Verbleib der zweiten Rippe 1.990 views 0

Kaffee gehört zu meinen persönlichen Grundnahrungsmitteln, auf den ich nur sehr schwer verzichten könnte.

Schwarz wie die Hölle, süß wie die Versuchung und heiß wie… ach, es lesen bestimmt auch junge Leute mit. An jedem Morgen sitze ich gleich nach dem Aufstehen halbtot an meinem Schreibtisch und meine Blicke schweifen entweder ins Nichts des Betriebshofes oder fixieren, wie jetzt im Winter, die Nachrichten des dpa-Tickers, die mir beweisen sollen, daß die Welt tatsächlich auch existiert, wenn mein eigenes Bewußtsein des Nachts auf einer anderen Ebene beschäftigt ist. Ich erwache immer zur gleichen Zeit, morgens zwischen 7:20 Uhr und 7:30 Uhr, ganz ohne Wecker. Erwachen bedeutet nur in meinem Fall nicht, daß ich wach bin. Physisch funktioniere ich halbwegs, aber zwischen meinem Kleinhirn, zuständig für die Motorik und meinem Großhirn, diesem so komplizierten Konstrukt aus Myriaden von Nervenzellen, blockiert ein Kautschuk-Block mit fünf Kilometer Kantenlänge jeden auch nur halbwegs vernünftigen Gedanken.

Nun sind wir Menschen verschieden — wie schön. Nein, ich meine jetzt nicht One World — One Future, für solche komplexen Themen fehlt mir der Betriebsstoff, ich bin noch nicht sehr lange wach. Ich meine nur, daß es Menschen gibt — ich schwöre: Solche sind mir schon begegnet — die wachen auf, öffnen ein Auge (nur eines) und dann auch schon gleich den Mund, um mir fröhlich „Guten Morgen“ zu wünschen. Wäre mein Großhirn schon „auf Arbeit“, könnte ich kurz analysieren: Was will dieser Mensch? Was, zum Teufel, soll an einem Morgen, so gleich nach dem Aufwachen, verflucht noch einmal, gut sein? Die Gnade der Existenz des 5 km Kautschuk-Blocks vor den Synapsen meiner Großhirnrinde bewahrt mich davor, solche Gedanken dann auch noch verbal zu formulieren. Gäbe es dieses Kautschuk nicht, wären Morgenmuffel sehr einsam. Also sehe ich nur in das Gesicht der Erwachenden, sehe Mundbewegungen, die Töne zu formulieren scheinen, entreiße meinem Kleinhirn die Floskel „Moin, Moin“ und flüchte mich in den Nebenraum, in dem SIE steht.

Als Gott den Kaffee erschuf, wollte er auch Menschen wie mich vor 11 Uhr morgens an den alltäglichen Freuden des Lebens teilhaben lassen. Sie wissen doch, daß Gott aus einer meiner Rippen die Frau erschuf? Naja, gut. Nicht direkt meiner, aber immerhin aus einer deren des Mannes an sich. Wir müssen das jetzt nicht diskutieren, schon gar nicht vom emanzipatorischen Standpunkt aus, bitte. Dazu ist es viel zu früh. Ich hätte das Thema um diese Zeit gar nicht ansprechen sollen, aber ich brauchte doch einen gedanklichen Übergang zur zweiten Rippe. Sie verstehen nicht? Was gibt es da zu verstehen? Wenn Sie jemandem eine Rippe entfernen, dann entsteht ein Ungleichgewicht. Das ist doch logisch. Denn Rippen sind immer paarweise angeordnet. Sicherlich hat Gott die unterste Rippe genommen — eine andere hätte ja den Brustpanzer instabiler gemacht. Und um nun die fehlende letzte Rippe rechts unten auszugleichen, nahm Gott dann auch noch die gegenüberliegende Rippe links unten weg. Weniger aus optischen Gesichtspunkten — Mann merkt eigentlich gar nicht, daß ihm eine bzw. zwei Rippen fehlen, oder? Sondern weil er aus der zweiten Rippe den Kaffeevollautomaten schuf.

Kaffee wächst nicht in Pulverform an den Sträuchern, wie viele Leute denken, sondern als Kaffeebohne. Das sind halbrunde Gebilde, die je nach Reifegrad einen unterschiedlichen Braunton aufweisen. Hier nun kommt der Tchibo-Mann ins Spiel. Der Tchibo-Mann ist ein Vertreter des neokapitalistischen Systems, der uns weismachen will, daß Instant-Kaffeepulver auch Kaffee ist. Dazu reist er um die ganze Welt, läßt sich auf Äckern mit Strauchpflanzen, an denen olivenförmige grüne(!) Gebilde hängen, die von immer gutaussehenden, lachenden Ureinwohnern mit blitzenden weißen Zähnen gestreichelt werden, ablichten. So formt er für uns eine Verdummungsgeschichte über den „Werdegang des Instant-Kaffeegenusses“. Wir dürfen jedoch den Tchibo-Mann nicht verdammen. Letztendlich ist auch er nur Opfer des weltweiten Systems der Hochfinanz, das es zu überwinden gilt.

Zurück zum Thema: Gott handelte also weise. Er nahm mir, also uns Männern, ungefragt eine Rippe und erschuf daraus die Frau. Gedacht hatte er seine Schöpfung als Weib. Daraus wurde jedoch die Frau. Wir könnten nun bei der Gleichstellungstelle für Frauen der Stadt Düsseldorf nachfragen, was das Weib dazu bewogen haben mag, Gottes Entscheidung zu revidieren. Aber ich empfehle dringend, dies zu unterlassen. Zumindest solange, bis wir nun endlich mehr über den Verbleib der zweiten Rippe erfahren haben. Als Gott nun also sah, daß sich das Weib zur Frau emanzipierte, erfaßte ihn Mitleid mit mir, also mit dem Manne. Unschlüssig die zweite entnommene Rippe in seinen Händen hin- und herdrehend, erinnerte er sich an die ersten, eher spastischen Laute seiner Schöpfung kurz nach dem Erwachen. (Sie wissen schon: Das, was ich, also der Mann, zwischen Erwachen und erstem Kaffeegenuß von mir gebe.) Und Gott gab mir, dem Manne, Trost: Er formte aus meiner, des Mannes zweiter Rippe, den Kaffeevollautomaten.

Nun sind wir alle glücklich: Gott, weil Gott sowieso das Glück in Person ist, also sozusagen natur-stoned. Die Frau, weil sie morgens jede beliebige Aussage in des Mannes Antwort „Moin, Moin“ interpretieren kann. Und ich, der Mann. Denn sofort nach dem Aufstehen schlurfe ich in den Nebenraum zum Kaffeevollautomaten und drücke auf die Taste mit dem Beschriftung: „Schwarz wie die Hölle, süß wie die Versuchung und heiß wie… ach, es lesen bestimmt auch junge Leute mit.“ Ja, ich weiß. Dort befindet sich eigentlich nur eine grüne Taste. Aber der angegebene Text wurde in mikrotypographischer Weise dort eingraviert. Ich bin mir ganz sicher. Ein Kaffeevollautomat manifestiert in sich die Glückseligkeit der menschlichen, männlichen Existenz. Gleich nach dem Betätigen besagter Taste erscheint ein erstes Lächeln in meinen Mundwinkeln, zerreißt die bleierne Schwere meiner Wangen, läßt die verklebten Augenlider bersten. Und ich beginne mit dem morgendlichen Ritual. Ich stehe vor dem Kaffeevollautomaten, dessen Funktion ich gerade ausgelöst habe, hebe beide Arme in die Luft und rufe laut „Schau mal… ohne Hände.“ Das Mahlwerk der Maschine Gottes beginnt, wie von Geisterhand gesteuert, eine genau portionierte Anzahl dunkelbrauner(!) Bohnen kleinzumahlen. (In diesem kurzen Satz fasse ich zwei Fakten zusammen, haben Sie’s bemerkt? 1. Natürlich wird hier nicht „von Geisterhand“ gemahlen — das ist nur eine textliche Annäherung an die Agnostiker unter meinen Lesern. In Wirklichkeit mahlt Er die Bohnen natürlich selbst. 2. Die echten Kaffeebohnen sind braun und nicht grün wie beim Tchibo-Mann, also lügt der Tchibo-Mann.) Nun rumort es im Gehäuse der Maschine. Es klackt und schlägt und eine Vakuumpumpe(?) beginnt, erhitztes Wasser durch das Kaffeemehl zu saugen. Ich verwende selbstverständlich nur Kaffee, den ich über das Große Weltnetz in Wien erworben habe. Das Große Weltnetz wurde geschaffen, um Kaffeetrinker mit weltweit angebauten Kaffeesorten zu versorgen. Der Kaffee in Wien stammt von den Türken, die nach dem Abzug einer mißglückten Eroberung der Stadt aus unerfindlichen Gründen einige Säcke mit Kaffeebohnen in ihrem Lager haben stehen lassen. Das war im Jahre 1683. Ein Vorfahre eines Kollegen fand die Säcke und so enstand der „Wiener Schümli“. Der Kollege muß einen unerschöpflichen Vorrat an Wiener Schümli-Kaffeebohnen besitzen, denn ich trinke diese Sorte seit Jahren und noch nie gab es Lieferengpässe. Jeden Morgen saugt und dräut mein Kaffeevollautomat eine genau berechnete Portion dieses göttlichen Getränkes in meinen Kaffeebecher.

So, wir sind jetzt soweit. Ich habe meinen ersten Kaffee des Tages getrunken. Die Frau ist aufgestanden, lächelt, erzählt eine Episode von der Venus, wo die Frauen leben, gießt sich einen Grünen Tee auf. Setzt sich zu mir in die Setzerei und strahlt mich an aus ihren grün-blauen Augen. Ich mag die Sprachmelodie ihrer Stimme. Wieso sieht sie so frisch und sauber aus, obwohl sie doch, genau wie ich, acht Stunden Schlaf hinter sich gebracht und zuvor darauf bestanden hatte, Weib zu sein für diesen Abend und nicht ausschließlich Frau? Welch‘ geheimnisvolle, seltsame und unerklärliche Geschöpfe das doch sind. Ja, ich habe meinen ersten Kaffee des Tages getrunken. Ich schiebe den 5 km Kautschuk-Block mit einem Tritt in eine Ecke meines Großhirns, von allen Seiten prasseln die Informationen auf mich ein, mein Großhirn funkioniert, analysiert, trifft Entscheidungen. Ich bin wach.

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