Preußisches Bleisatz-Magazin
Vom Kommenden

Patienten/Personal-Kommunikation 1.757 views 2

«Guten Morgen. Ich habe einen Termin zur Untersuchung. Die Unterlagen hier sollte ich mitbringen.»

«Morgen. Wo ist die Anmeldung?»

«Ich war gestern schon hier zur Blutabnahme. Ich glaube, da wurde auch die Aufnahme erledigt.»

«Sie brauchen eine Anmeldung. Sonst können wir Sie nicht untersuchen. Also erledigen Sie das jetzt und kommen Sie dann wieder.»

«Ich sage doch: Ich habe gestern schon die Überweisung abgegeben von meinem Hausarzt und auch meine Krankenkassenkarte. Aber ich kann das gern noch einmal machen, wenn Sie es so wollen. Wo, bitte, ist die Anmeldung?»

Ein demonstrativ gelangweilter Blick zur Kollegin. Nun spricht man geduldig, langsam und deutlich mit mir, als sei ich ein Kindergartenkind. «Gehen Sie zurück zum Eingang. Dort hängt ein Schild <Anmeldung>. Ziehen Sie eine Nummer und warten Sie, bis Sie aufgerufen werden. Haben Sie das jetzt verstanden? Sonst gibt es keine Untersuchung»

«Paß auf, wir machen das jetzt so: Ich gehe jetzt zu Ihrer Anmeldung und erledige das, wie Sie gesagt haben. Der Arzt gestern hat kein Wort davon gesagt. Aber er brachte mich persönlich zu dieser Ihrer Tür hier und sagte, ich solle mich genau hier bei Ihnen mit den Unterlagen melden, die er mir mitgab. Wenn nun etwas falsch lief, erzählen Sie das bitte dem Arzt und nicht mir. Wenn ich gleich wieder komme, werden wir beide höflich und freundlich miteinander sprechen. Haben Sie verstanden, was ich gesagt habe?»

Genau so kam es nach meiner Rückkehr auch. Ich habe diesen Ton dort im Universitätsklinikum so satt. Es steht mir bis zum Hals. Jetzt geht es mir (noch) gut. Aber was, wenn ich durch Operation oder Chemo schwach bin und mich elend fühle? Ich weiß nicht, ob ich mich dann noch so wehren könnte wie jetzt. Überhaupt: Ich will mich nicht wehren müssen. Und was ist mit Kranken, die sich schlicht nicht wehren können? Einfache Leute, die sich vielleicht nicht so gut artikulieren können?

Niemand, der gerade eine Diagnose «Krebs» erhalten hat und in eines der Krebszentren des Universitätsklinikums Düsseldorf überwiesen wird, hat eine nur harmlose Erkrankung. Er hat Krebs. Kann man auf eine solche Diagnose vorbereitet sein? Ich weiß es nicht. Ich war es jedenfalls nicht. Stellen Sie sich eine fette, häßliche Spinne mit acht langen, behaarten Beinen und einem Leib, so groß wie ein Basketball vor, die sie nicht kommen sehen, die Ihnen aber plötzlich und ohne jede Vorankündigung mitten im Gesicht hängt, sich mit ihren Gliedern an Ihrem Oberkörper festkrallt, Sie mit starren Augen fixiert und Ihnen einen langen, dornigen Stachel mitten in den Hals sticht. Diese Mischung aus schierem Entsetzen, Panik, Ekel und Angst — genau das bedeutet «Sie haben Krebs».

Von diesem Moment an bemühen Sie sich mit aller Gewalt, weiter zu funktionieren. Das müssen Sie. Denn Sie sind nicht allein auf der Welt. Sie haben Familie, sie haben Freunde. Und Sie haben auch Verpflichtungen, denen Sie nachkommen müssen. Also reißen Sie sich zusammen, so gut wie es geht. Und immer und jederzeit ist Ihnen bewußt: Sie alle berührt Ihr Schicksal, alle wollen helfen, aber alle brauchen auch selbst Hilfe — von Ihnen. Aber an einem Punkt führt nichts vorbei: Sie allein sind es, der den Krebs hat, sonst niemand. Letztendlich werden Sie dort durch müssen. Das nimmt Ihnen niemand ab. Nachts regt sich das das Tier, flüstert Ihnen ins Ohr, daß Sie nun sterben werden, lacht, amüsiert sich über Sie. Und läßt Sie über dem Bodenlosen ins Nichts schauen.

In diesem Zustand kommen Sie nun zu den Spezialisten, die Ihnen helfen sollen, wollen und vielfach auch können. Oder, wenn sie nicht (mehr) heilen können, dann sind sie in der Lage, Ihr Leiden zu lindern, Ihnen den Schmerz zu nehmen. Sie sanft entschlafen zu lassen, wenn es dann soweit ist. Sie selbst mögen denken «Jetzt. Jetzt ist es soweit. Ich werde sterben.» Aber so ist es nicht. In einer meiner ersten Berichte zu diesem Themenkomplex hier habe ich beschrieben, wie es dabei zugeht.

Was ich gar nicht gebrauchen kann, sind Leute, die es mir schwerer machen. Ohne Grund. Einfach nur, weil sie einen kleinen Blitzableiter für ihren Frust brauchen und ich gerade da stehe. Erstaunlicherweise ändert sich deren Verhalten sofort, wenn ich sie konkret darauf anspreche. Wenn ich sage «Hey, warum behandeln Sie mich so scheiße? Ich kann doch nichts dafür. Ich habe nichts falsch gemacht. Und ich habe doch Krebs, Mensch, an dem ich verrecke, wenn mir hier keiner hilft. Ich könnte schreien vor Angst, wenn ich nicht so gut erzogen wäre. Also sei doch ein bißchen nett zu mir, ich drehe hier sonst durch.» Und tatsächlich: Sie halten inne, entschuldigen sich kurz (das braucht es gar nicht). Ich sehe plötzlich Mitgefühl in ihren Augen, der Pfleger legt mir seine Hand auf den Unterarm und sagt «Das wird schon.». Und sofort geht es mir besser.

Aber warum, bitte, muß ich das jedesmal einfordern? Ich werde mich wohl nie daran gewöhnen.

  1. Kommentar by Thomas Kersting — 17. Juni 2010 @ 00:30

    Jawoll! Glückwunsch!

    DIE werden SIE nicht mehr vergessen und gegen DIE müssen Sie sich nicht mehr wehren. Frech braucht man nicht zu sein – aber bestimmt! Es ist wie bei der Kindererziehung, auch diese brauchen – ja suchen – eine feste, konsequente Meinung und tun dann (fast) alles für einen. Als Belohnung kann man dann noch ein Lächeln oder gar einen Scherz geben (man weiß ja wie schwer der Job dort ist!).

    Weiterhin alles Gute!
    Thomas Kersting

  2. Kommentar by Janet — 26. Juni 2010 @ 12:37

    das ist einfach so. Der Mensch geht unter in einer grossen Klinik, mitten drin in der Hierarchie. Fordere ein was eigentlich selbstverstädnlich ist. Nur Menschen die das am eigenen Leibe erlebt haben können es wirklich nachvollziehen und wirklich Zuspruch geben. Dafür hast Du uns ja 🙂

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