Preußisches Bleisatz-Magazin
Gastbeitrag

Nicht für immer, sondern für eine bestimmte Zeit gemacht 2.143 views 2

Diesen Gastbeitrag hat Lara mir überlassen, der ich dafür herzlich danke.

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Andreas Baumgärtel gehörte zu den Patienten, die wenig erzählten. Aber ihn zum Lächeln zu bringen war einfach.
„Ihr Puls ist zu hoch.“, sagte ich manchmal morgens und schaute streng, „Das wird doch wohl nicht an mir liegen?“ Dann musste er lachen. Über mich, meine Scherze, meine Jugend, meine unbekümmerte Art, obwohl er ein ernster Mensch war und schon 40 war damals und verheiratet und Naturwissenschaftler und bereits seit Wochen rumlag auf dieser Station.
Ich hatte oft Nachtdienst und er konnte oft nicht schlafen. Irgendwann gewöhnten wir es uns an, im Schwesternzimmer zu sitzen und Tee zu trinken. Am Anfang redeten wir nicht viel. Ich schwieg, weil ich müde war und er schwieg, weil er keiner war, der viel schwätzte. Aber es fühlte sich richtig an, da so zusammen zu sitzen und ich hatte es selten erlebt, dass Schweigen so leicht war und so selbstverständlich. Wir mochten uns einfach, nicht mehr und nicht weniger und deshalb trafen wir uns, wenn ich frei hatte, hin und wieder am Nachmittag zum Spazierengehen. So erfuhr ich ein bisschen etwas von ihm und er von mir, aber das war nicht wichtig, weil wir einfach nur nebeneinander hergehen wollten und uns an der Hand halten.

Zu sagen wir hätten uns verliebt, würde nicht den Tatsachen entsprechen. Wir waren auch nicht Freunde geworden, weil wir das von Anfang an gewesen waren, auf eine Art. Wir hatten uns einfach gefunden. Und zwar als Menschen.

Bald wollte er, dass ich seine Familie kennenlerne, weil er kein schlechtes Gewissen hatte und weil er es schön fand, mir seine Töchter vorzustellen, auf die er stolz war und die Frau, die er liebte. Ich hatte auch kein schlechtes Gewissen, aber trotzdem Bedenken, was seine Angetraute sagen würde, wenn er plötzlich mit einer Schwester aus der Klinik aufkreuzt und dann, zu allem Überfluss, vielleicht auch noch Hand in Hand.

Frau Baumgärtel hieß Katharina und musterte mich kühl.
Ich mochte sie sofort, weil sie mich nicht auf der Stelle die Treppe runterwarf und ihren Göttergatten gleich mit.
Jedenfalls tranken wir einigermaßen friedlich Kaffee, die Töchter flochten mir Zöpfe in die Haare und die Sonne schien durch die geputzten Fenster.

Ich half Katharina beim Abwasch. Erst redeten wir nichts. Und dann sagte sie leise, dass sie eigentlich sogar froh wäre, dass ihr Mann jemanden hätte, weil er kein einfacher Mensch sei und immer ziemlich verschlossen. Sie schaute mich an, mit blauen ehrlichen Augen, und ich schaute zurück und es war wie ein Abkommen, das wir besiegelten, indem ich ihr vorsichtig eine warme, frisch abgetrocknete Kaffeetasse hinhielt.

So wurde ich Mitglied der Familie Baumgärtel und war oft zu Gast. Manchmal waren wir auch alleine, Andreas und ich. Er spielte mir etwas auf dem Klavier vor oder wir gingen spazieren.
Redeten oder schwiegen, hielten uns an den Händen oder im Arm.

Merkwürdig vielleicht, dass es ein ganzes Jahr dauerte, bis ich mich verliebte. Am Telefon bat ich um ein letztes Treffen.
Wir tranken Tee, der ein bisschen zu lange gezogen hatte. Und ich erzählte ihm vom Katharina-Abkommen.
Zusammen zu schweigen war immer noch angenehm.
So angenehm und leicht, wie unser gemeinsames Jahr.

  1. Kommentar by Thomas Kersting — 30. Juni 2010 @ 01:45

    Sniff, is‘ dat ne schöne Geschichte!

    So jung und so schön schreiben…

    Der alte Thomas Kersting

  2. Kommentar by Lara — 30. Juni 2010 @ 08:27

    Merci! 🙂

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