Preußisches Bleisatz-Magazin
Messer raus

NRW-Landtagswahl — Pest oder Cholera? 3.162 views 1

Am 9. Mai 2010 findet die Landtagswahl im bevölkerungsreichsten Bundesland der BRD statt — und wetten: Immer weniger gehen hin. Wie das wohl kommt? Ja, ja, die Politikverdrossenheit. Und das trotz der intensiven Appelle der Politiker-Mischpoche der BRD. Ist der Begriff «Mischpoche», der übrigens aus dem Rotwelsch stammt und immer abwertend gemeint ist, schon als Volksverhetzung wertbar? Bosche moj, bosche moj, wie Anna Seminovich sagen würde http://www.youtube.com/watch?v=sdVLe6AOxLk Das heißt übrigens «Mein Gott» und ist als erstaunter Ausruf zu werten. Ein sehr treffender Titel für das Liedchen, das Anna da singt, nicht wahr?

Bei dieser Wahl gibt es nun eine Neuerung, die es den Parteien erlaubt, Ihre Pfründe noch besser zu sichern. Sie wissen doch, daß Politiker sich ausschließlich von ihren Diäten und der «Aufwandsentschädigung» selbst finanzieren müssen? Ein hartes Los in der heutigen Zeit. Wie gut haben es doch da die Wähler, von denen immer mehr in Gänze oder zum Teil durch Hartz IV abgesichert sind. So ein Politiker steht ja praktisch vor jeder Wahl erneut am Abgrund. Nun ist er zwar durch seine sehr bald einsetzenden Pensionsanspruch (nach 10 Jahren Parlamentszugehörigkeit) abgesichert — nach der Mindestzeit im Parlament hat er Anspruch auf 800 Euro Pension, aber das ist natürlich nicht gerade üppig. Auch, wenn es mehr ist, als so mancher nach 40 Jahren Schufterei bekommt. Aber der ist ja auch kein Politiker. Ein Abgeordneter verdient im Landtag übrigens 9756 Euro – Quelle: WAZ’ens Der Westen http://www.derwesten.de/nachrichten/politik/Diaeten-in-NRW-Abgeordnete-attackieren-Moron-id336662.html Aber davon kann man ja schlecht auch noch etwas für die Altersversorgung zurücklegen.

Falls Sie meinen, ich käme vom Thema ab, haben Sie sich geschnitten. Ich spreche nämlich über die Neuerung bei dieser Landtagswahl. Und über die Pfründe, die es zu sichern galt. Es wird nämlich nun eine neue Abstimmungsregel eingeführt, die schon seit langem erfolgreich bei den Bundestagswahlen angewandt wird: Es gibt eine Erststimme, über die ein Direktkandidat von einer Liste, die dem Wähler vorgelegt wird, auf den Landtagsabgeordneten-Sessel gehievt wird und es gibt die Zweitstimme, die die Sitzanteile der Parteien bestimmt. Um diese Liste geht es. Diese wird von den Parteien zusammengestellt. Die Parteimitglieder kungeln aus, welcher Politiker seiner Partei welchen Listenplatz erhält. Je höher er auf der Liste steht, desto sicherer ist sein Platz. Wer tiefer eingestuft wird, hat keine Chance — aber vielleicht beim nächsten mal. Sofern er das richtige innerparteilische Kungeln gelernt hat. Die Hälfte aller Landtagssitze werden auf diese Weise von den Parteimitgliedern in NRW besetzt. Das sind übrigens 2 Prozent der Wähler. Die anderen 98 Prozent der Wähler haben auf die Liste keinerlei Einfluß. Sie dürfen anhand der vorgegebenen Liste nur wählen zwischen Pest und Cholera. Dafür werden sie dann mit der Zweitstimme getröstet. Nur Parteien, die mindestens 5 Prozent der Zweitstimmen auf sich vereinen können, kommen überhaupt in den Landtag. So schützen die etablierten Parteien sich vor allzu großer Konkurrenz durch kleine Parteien, die auch an den Futtertrog wollen. Aber man bleibt natürlich lieber unter sich, so muß man nicht teilen. Das ist nachvollziehbar. Man nennt das ganze übrigens «Parlamentarische Demokratie».

Fassen wir doch noch einmal kurz zusammen: Am 9. Mai 2010 dürfen Sie wählen gehen, sofern Sie Einwohner von Nordrhein-Westfalen sind. Und Sie dürfen über die Hälfte der Sitze im Landtag abstimmen — indirekt natürlich. Bedeutet: Sie dürfen einer Partei Ihres Vertrauens Ihre Zweitstimme geben. Die dann auf den Landtags-Sessel setzt, wen sie für richtig hält. Über die andere Hälfte der Sitze bestimmen die Parteien selbst — Sie, liebe Wählerin, lieber Wähler, sind da überflüssig. Ihre Entscheidung wird nur benötigt, um zu bestimmen, welcher Direktkandidat am hübschesten lächelt. Da derjenige auf jeden Fall von seiner Partei auf einen der vorderen Listenplätze gesetzt wurde, können Sie davon ausgehen, daß er es geschafft hat, die Mehrheit der wichtigen Partei-Mitglieder — die Meinungsmacher, also die Multiplikatoren — auf sich zu vereinen. Was mag er ihnen wohl versprochen haben? Sicherlich die Umsetzung ihrer Auslegung der Parteipolitik. Eines tröstet: So oder so haben wir nach dem 9. Mai 2010 erst einmal wieder auf Jahre Ruhe. Und müssen uns die Verarsche Veräppelung nicht noch auf ihren dümmlichen Wahlplakaten nicht auch noch ansehen.

Wie ich wähle? Das kann ich Ihnen sagen: Ich gehe hin und mache meinen Wahlzettel ungültig. Gar nicht hinzugehen mißfällt mir. Das hieße ja zu sagen «Macht Ihr mal… ich habe nichts dagegen.» Also gehe ich am Wahlsonntag zur Abstimmung, schreibe deutlich lesbar auf den Rand des Stimmzettels, was ich von der ganzen Parteien-Mischpoche halte und gehe danach zum Frühschoppen. Prost. Immer rin in de hohle Kopp, wie man im Rheinland sagt.

Und nun möchte ich Ihnen noch ein Zitat mit auf den Weg ins Wahllokal mitgeben. Es stammt von Oswald Spengler. Er schrieb das zu Beginn der Zwanziger Jahre und meinte die Weimarer Republik. Ich bin mir sicher, er wäre nicht überrascht, wenn er wüßte, daß sein Zitat auch heute noch top-aktuell ist:

«Aus der Angst um den Beuteanteil entstand auf den großherzoglichen Samtsesseln und in den Kneipen von Weimar die deutsche Republik, keine Staatsform, sondern eine Firma. In ihren Satzungen ist nicht vom Volk die Rede, sondern von den Parteien, nicht von Macht, von Ehre und Größe, sondern von Parteien, keine Rechte, sondern Parteien, kein Ziel, keine Zukunft mehr, sondern Interessen von Parteien.»

  1. Kommentar by Thomas Kersting — 22. April 2010 @ 21:31

    Ja Bravo! Bei dem ganzen Ärger über die Ohnmacht gegenüber diesem Irrsinn tröstet mich, dass es in diesen Deutschen Landen anscheinend doch noch weitere wache Geister gibt. In meinem Wahlkreis gab es bei der letzten Kommunal- und Bundestagswahl schon jeweils mindestens einen ungültigen Wahlzettel mit entsprechenden Kommentaren!

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