Preußisches Bleisatz-Magazin
Arbeitswelt

Manni, rück die Kohle raus 5.090 views 0

„Tach, Herr Mayer. Ich hatt‘ anjeroofe wejens dem Blei.“ — Ich stehe auf einem Schrottplatz in Flingern, einem der früheren Arbeiter-Viertel im Süden Düsseldorfs. Schrott-Mayer gab es dort schon immer, meine Mutter hatte mir erzählt, daß die Kinder ihrer Straße am Oberbilker Markt schon vor dem Krieg altes Eisen, Lumpen und Zeitungen gesammelt hatten, um das Zeugs dann dort beim Schrott-Mayer für ein paar Groschen einzutauschen. In meiner Kindheit lief das genauso: Wir waren ein Dutzend Straßen-Kinder, viele von uns  „Schlüssel-Kinder“ und alle paar Wochen klingelten wir die Nachbarn in den Mietskasernen ringsherum raus und bettelten denen das Altpapier ab. Schlüssel-Kinder waren Kinder, deren Mütter auch arbeiten gingen (die Väter ja sowieso, es war Vollbeschäftigung). Die bekamen den Hausschlüssel um den Hals gehängt „Nur für den Notfall. Du bleibst auf der Straße und bringst auf keinen Fall fremde Gören mit hoch. Wenn was passiert, gehst Du zu Frau Hecht an der Ecke. Ich bin um 6 Uhr heute Abend wieder da. Tschüss.). Nein, wir hatten keine Kita. Wir waren auch nicht im Kindergarten. Der Besuch kostete Geld, Geld hatten wir nicht. Ich hab’s nie vermißt. Wir spielten auf der Straße, waren Straßen-Kinder.

„Ach ja. Du warst dat mit dem Buchdrucker-Blei. Hast jestern anjerufen, wollz dat verkaufen. Joot.“ — Herr Mayer ist hoch in den 80ern. Natürlich duzt er mich. Er erkennt den Straßenjungen aus seinem Viertel in mir. Und natürlich sieze ich Herrn Mayer. So, wie ich ihn schon als Junge gesiezt habe. Vermutlich hätte er einen Schraubenschlüssel nach mir geworfen, wenn ich’s anders gemacht hätte damals. Vielleicht sogar heute noch, weiß man’s? Aber das wäre mir auch im Traum nicht eingefallen. „Ich mach‘ dat ja nur noch nebenher. Der Manni, mein Sohn, hat dat alles übernommen, aber schon inne 80er. Da kütte jrad.“.

„Manni“ alias Manfred Mayer kommt über den Hof. Gleichaltrig mit mir, Respektsperson meiner Kindheit. Der fuhr schon mit zwölf Jahren mit einem frisierten Mofa herum, das sein Vater als Schrott angenommen hatte und Manni zum Schrauben überlassen hatte. Wir waren zusammen in der Volksschule gewesen. Gab es Probleme mit den Kindern von einem anderen Block, machte ich die Pläne zur Eroberung von deren Hauptquartier, einer Bretterbude irgendwo an der Düssel, stellte Stoßtrupps zusammen, ernannte das einzige Mädchen, das zu uns gehörte und die sich partout nicht abschütteln ließ, zum „Sani“… Manni hörte geduldig zu, wenn ich von den Parallelen aus dem Russland-Feldzug sprach „Mein Vater mußte damals auch mal mit zwei Kameraden…“ und sprach dann: „Ich war grad‘ da und hab‘ Wolle die Fresse poliert. Ist erledicht.“ Mh. Joh. Nun gut, dann eben so.

„Grüß Dich, Schorsch. Hab‘ mir schon jedacht, dat Du dat bist, wie Vatter jesacht hat, da kütt ene Jong hier vom Dreh mit Drucker-Blei. Wie isset?“ — „Muß, Manni, muß… Un‘ selbst?“ Unbewußt verfalle ich in mein tiefstes Düsseldorfer Platt. Sonst vorbehalten speziellen Situationen, in denen ich, aus welchem Grund auch immer, furchtbar wütend werde und mich aufrege. Wir hatten einander nie aus den Augen verloren. Ich ging nach der Volksschule auf die „Höhere Schule“, das Geschwister-Scholl-Gymnasium, Manni zur Hauptschule, um möglichst schnell in den väterlichen Betrieb einzusteigen. In der Jugend und im frühen Mannesalter sah man sich in der Düsseldorfer Altstadt oder bei der DEG, dem Eishockey-Verein, trank ein Bier zusammen, erkundigte sich nach den Eltern. Immer auf Augenhöhe, ganz egal, wer gerade welche Sprosse der Entwicklung gemeistert hatte. „Immer derselbe Driet. De Alde kann nich‘ zu Hause bleiben, schleicht hier über’n Hof und nichts kann man ihm recht machen.“ Manni lacht. „Lott jot sin. Losse mer uns freue, dat de Alde noch so fit is‘.“.

Manni verschwindet im Anbau, wo die Apparatur der großen Waage steht. Zuvor hatte er einen Kollegen geschickt, wir hatten das Schriften-Blei, abgepackt in alte Tiefdruck-Farbtonnen, auf Paletten fixiert und auf dessen Schwerlaster bugsiert. Vor der Abfahrt war der Lkw leer gewogen worden, nun mit meinem Schriften-Blei. „Schorsch, nimm den Fuß vonne Waage, sonst jag‘ ich den Hund auf Dich.“ So’n Quatsch. Sky, Mannis schwarzer Schäferhund, läuft jedem Besucher mit einer knallgelben Gummi-Quietsche-Ente entgegen und läßt nicht eher Ruhe, bis der das Teil irgendwo auf den Hof geworfen hat, damit er es apportieren darf. Aber vorsichtshalber bewege ich meine derzeit 106 kg dann doch ein paar Schritt von der Waage mit dem Blei weg. Manni kommt raus, gibt mir einen Laufzettel mit ein paar handschriftlichen Zahlen. „Wat wiecht Palette, Faß und Spanngurt — 50 Kilo?“ — „Ah wah… 120 kg für dat Tara für allet. Steht drop. Die Spanngurte brauch‘ ich zurück.“ — „Joot. Jeld jibbet beim Alde im Büro.“ Düsseldorfer betonen beim Wort „Büro“ die erste Silbe, nicht die zweite. „Wat zahlste überhaupt Kilopreis? Letzte mal waren et 65 Cent.“. — „Nä, is joot. Is‘ jestiejen. Liecht wat höher, ich zieh‘ Dich schon nit ab.“ — „Joh, schon jot. Deshalb kriechs dat Zeuch doch auch. Denk‘ dran, is‘ Weihnachten und ich bin ’ne arme Sau…“ — „Arme Säue sin‘ mer all. Laber nit. Wat macht die Frau, wat is mit die Kingers?“ — „Den Kindern jeht et jot. Wat für’n Frau?“ — Ich ernte einen schrägen Blick. Manni weißt sofort Bescheid. „Ejal. Wer weiß, wozu et jot is. Bleib jesund, leeve Jong.“ Mir ist auf einmal danach: Ich umarme Manni, wir hauen uns auf die Schultern. Ich weiß, daß ihm die Frau vor ein paar Jahren gestorben ist und er schwer daran zu knacken hatte. Hilft ja nichts, darüber groß zu reden. Muß halt weiter gehen. Ist bei mir nicht anders.

Auf dem Rückweg zum Magazin wird mir bewußt, daß das dort im Viertel meine Leute sind. Hier bin ich zu Hause. Man kennt sich das ganze Leben lang, keiner kann dem anderen etwas vormachen. Aber man fällt kein Urteil, man nimmt den anderen einfach, wie er ist. Ich fühle mich sehr wohl.

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